Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (44 page)

Er betrachtete sie alle - und fragte sich, ob hinter den vertrauten Gesichtern auch wirklich die Leute steckten, die er kannte.
Als Philo zurücktrat, streckte Sebastian die Hand aus. Er sah nicht, wer ihm die Fackel reichte. Es spielte keine Rolle. Er trat an den Rand der Grube und starrte einen langen Moment auf das Bündel hinab, dann ließ er die Fackel auf die ölgetränkte Decke fallen.
Trotz seiner Bemühungen, die Kreatur zu verhüllen, hatten ein paar von ihnen ihr Gesicht gesehen, das der Tod mitten im Verwandlungsprozess hatte erstarren lassen. Niemand hatte gefragt, wie das Ding gestorben sei - aber alle behandelten ihn seitdem mit Vorsicht.
Sie hatten mehr Grund, vorsichtig zu sein, als ihnen klar war.
»Tageslicht«, sagte Philo, als er ein Taschentuch hervorzog und sich über das Gesicht wischte. »Ich wusste nicht, dass es Dämonen gibt, die ihre Gestalt verändern und sich als Menschen ausgeben können.«
Du hast es gewusst, dachte Sebastian. Du hast es nur nie zuvor gesehen.
»Was für eine Art Dämon war das?«, fragte Mr Finch.
Sebastian blickte ins Feuer und versuchte, die Übelkeit zu unterdrücken, die in ihm aufwallte. Er musste es ihnen sagen. Sie mussten gewarnt werden. Vor ein paar Tagen hatte Teaser ihm erzählt, dass fünf Neuankömmlinge den Pfuhl betreten hatten. Das bedeutete, dass es noch einmal vier von diesen Kreaturen gab, die in der Lage waren, jede Gestalt anzunehmen.
»Sebastian?« Philo trat nervös von einem Fuß auf den anderen und blickte dann schnell zu Hastings und Mr Finch. »Was für eine Art Dämon war das?«
Er musste es ihnen sagen. Aber es würde ihr Leben verändern.
Er wandte sich vom Feuer ab und sah Philo in die Augen. »Es war ein Inkubus. Ein reinblütiger Inkubus.«
 
Koltak ließ das Pferd laufen. Vielleicht hatte das Tier mehr Glück, einen Weg aus dieser dreimal verfluchten Landschaft zu finden.
Wo waren die Dörfer, die Straßen oder auch nur ein Hof mit einem vertrottelten Bauern, der vielleicht gerade Verstand genug hatte, ihm die Richtung zu weisen?
Wie viele Meilen hatte er schon zurückgelegt? Wie viele Stunden war er ziellos durch dieses Meer aus grünen Hügeln geritten?
Er hätte in der Stadt der Zauberer Nachforschungen anstellen sollen. Es musste ein paar Bürger geben, die wussten, wie man den Pfuhl fand. Natürlich wäre keiner von ihnen bereit gewesen, es einem Zauberer gegenüber zuzugeben, aber wenn er gespürt hätte, dass jemand versuchte, Ausflüchte zu machen, hätte er ihn zur Befragung in die Halle der Zauberer gebracht.
Zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. Er musste den Weg alleine finden und Sebastian zurück in die Stadt der Zauberer bringen. Und wenn er diesen Teil seines Planes zur Rettung Ephemeras erst einmal in die
Tat umgesetzt hatte, würde der Rat nicht länger auf ihn herabblicken, als sei er in einen Misthaufen getreten, ohne sich später den Dreck von den stinkenden Stiefeln zu wischen.
Das Pferd schnaubte, spitzte die Ohren und sein vorher gemächlicher Gang wurde lebhaft.
Koltak versteifte sich, als er die Zügel aufnahm, entspannte sich dann aber, als er das schwarze Pferd entdeckte, das auf einer Anhöhe stand und ihn einfach nur ansah. Er hatte bereits mehrere dieser Pferde gesehen, seit er die Brücke überquert hatte. Die ersten zwei Male hatte er erwartet, auf ein Bauernhaus oder irgendeinen Gutshof zu stoßen, irgendetwas, das darauf hindeutete, dass das Tier jemandem gehörte. Danach war er verbittert zu dem Schluss gekommen, dass wer auch immer in dieser Landschaft lebte, seine Tiere einfach frei herumlaufen ließ.
Oder bereits von den Bestien vernichtet worden war, die Belladonna über die Welt gebracht hatte.
Er stieß sein Pferd mit den Fersen an und kehrte dem Schwarzen, der auf der Anhöhe stand, absichtlich den Rücken zu - und somit auch dem Westen, in dem die Sonne sich langsam auf den Horizont zu bewegte. Er hatte einen Schlafsack, etwas zu essen und Getreide für das Pferd dabei, aber er hatte nicht daran gedacht, dass er den Pfuhl vielleicht so schnell nicht finden würde oder nicht in einem Dorf unterkommen könnte. Er wollte nicht draußen in der Wildnis schlafen.
Ein Dach über dem Kopf, dachte er. Ein Gasthaus mit warmem Essen und einem Bett mit sauberen Laken. Das ist alles, was ich will. Alles.
Ein paar Minuten später stieß er auf eine Brücke. Nicht nur Bretter über einem Bach, sondern eine richtige Holzbrücke, breit und stabil genug für einen Bauernkarren.
Die Brücke erschien unsinnig, schließlich führte keine Straße zu ihr hin oder von ihr weg. Aber er würde sich
nicht über die Logik einer Brücke, die keinen Zweck hatte, den Kopf zerbrechen. Sie war das erste Merkmal von Zivilisation, das er seit langer Zeit gesehen hatte, der erste Fingerzeig, dass er Unterkunft für die Nacht finden könnte, bevor die Sonne unterging.
Das Pferd schritt über die Brücke … und trat auf eine unbefestigte Straße, die sich durch die Hügel schlängelte.
Koltak riss an den Zügeln, und das Pferd kam schnaubend zum Stehen. Er drehte sich im Sattel um und blickte zurück zur Brücke. Auf der anderen Seite ging die Stra ße weiter.
Aber vorher war sie nicht da gewesen.
Er war in eine andere Landschaft übergetreten. Aber er hatte das warnende Prickeln der Magie nicht gespürt, hatte keinen Hinweis darauf erhalten, dass die Brücke mehr war, als eine Brücke.
Sein Herz raste, als er sich im Sattel aufrichtete, und er verzog vor Schmerz das Gesicht, als seine Muskeln, die zu viel Zeit im Sattel verbracht hatten, protestierten.
Er trieb das Pferd zum Trab, folgte der Straße und fühlte Erleichterung, als er ein paar Minuten später Hausdächer und aus Schornsteinen aufsteigenden Rauch erkennen konnte.
Als er das Dorf erreichte, hatten die Läden für heute bereits geschlossen, und die meisten Menschen waren nach Hause gegangen, um zu Abend zu essen, aber er folgte dem Klang von Stimmen und Gelächter zu einem Gebäude, das zweifellos eine Art Gasthaus war.
Er stöhnte, als er abstieg und spürte, wie ihn der Ärger durchzuckte, als niemand herausgeeilt kam, um ihm seine Satteltaschen abzunehmen. Er ließ das Pferd an einen Pfosten gebunden stehen und wuchtete die Taschen auf seine Schultern, betrat den Schankraum und ging auf den Tresen zu, wobei er ständig jemanden anrempelte, der die Frechheit besaß, nicht für ihn zur Seite zu treten, wie es sich gehörte.
Der Mann hinter dem Tresen blickte ihn prüfend an und schenkte ihm ein kaltes Lächeln.
»Einen schönen Abend wünsche ich Euch.«
Koltak grunzte. »Wie lautet der Name dieses Dorfes?«
»Dunberry.«
Der Name war ihm unbekannt. »Gebt mir ein Glas Eures besten Biers.«
Der Mann zapfte einen Krug Bier und stellte ihn auf den Tresen. Aber er hielt ihn fest. »Zeigt mir erst Euer Geld.«
Entsetzt über diese Beleidigung, blickte Koltak den Mann mit all der Überheblichkeit an, die in ihm steckte. Dann tippte er auf das Abzeichen, das an seiner Robe befestigt war. »Ihr wagt es, jemanden zu beleidigen, der dieses Zeichen trägt?«
Der Mann lehnte sich ein Stück nach vorne, um besser sehen zu können und zuckte dann mit den Schultern. »Könnte ein Familienschmuckstück sein, nach allem, was ich erkennen kann. Wenn es nicht nur Messing oder Kupfer ist, bringt es Euch vielleicht genug für zwei Krüge Bier und einen Teller von dem, was in der Küche noch übrig ist. Wenn es Gold ist, bekommt Ihr das gleiche dafür und noch ein Zimmer für die Nacht und einen Platz im Stall für Euer Pferd, wenn Ihr eines habt.«
»Ihr glaubt, ich würde dies eintauschen?«, schrie Koltak. »Ich bin ein Zauberer!«
Der Mann legte den Kopf schief und dachte nach. »Ein Zauberer, soso. Und was wäre das?«
Koltak starrte den Mann an, drehte sich dann herum und musterte die anderen Männer, die am Tresen standen oder an den Tischen saßen.
»Ein Zauberer«, wiederholte er. Sein Unbehagen wuchs, als sich die verständnislosen Blicke nicht änderten. »Ein Rechtsbringer.«
»Ihr meint so etwas wie ein Magistrat?«, fragte jemand. »Ihr setzt die Geldbuße fest, wenn ein Schwein aus dem
Pferch ausbricht und den Garten des Nachbarn zertrampelt?«
»Wie könnt Ihr es wagen, mich so zu beleidigen?« Koltak wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, konnte aber nicht erkennen, wer gesprochen hatte. »Ich bin ein Rechtsbringer. Ich kann den Blitz der Gerechtigkeit rufen und Euch auf der Stelle töten!«
»Nun ja, Herr Zauberer«, sagte der Mann hinter dem Tresen, »hier in der Gegend nennen wir das Mord. Und es ist uns egal, ob Ihr jemanden mit einem Messer oder mit Eurem Blitz tötet. Wenn Ihr hier jemanden umbringt, werdet Ihr nach allen Regeln der Kunst aufgeknüpft.«
Schneidende Angst schnürte Koltak die Kehle zu. Nicht sein Teil der Welt. Keine der Landschaften, die er kannte. Hier war er machtlos, weil jeder Einsatz der Kraft, die ihm innewohnte, dazu führen würde, dass man auf ihn Jagd machte wie auf einen gewöhnlichen Verbrecher.
»Ich habe etwas Geld.« Er fingerte ungeschickt an dem Geldbeutel herum, der an seinem Gürtel hing und legte drei Goldmünzen auf den Tresen.
Der Mann dahinter schob eine Münze zur Seite. »Dafür bekommt Ihr eine Mahlzeit, zwei Krüge Bier und ein Zimmer.« Er schob eine weitere Münze beiseite. »Und dafür ein Bad und einen Platz im Stall für euer Pferd.«
»Ja«, sagte Koltak leise und versuchte, bescheiden zu klingen. »Das Pferd steht draußen und … ein Bad wäre mir sehr willkommen.«
»Sicherlich wollt Ihr Euer Mahl auf Eurem Zimmer zu Euch nehmen.«
Sicherlich hättest du mich lieber aus dem Weg.
»Vielen Dank.«
»Ich zeige Euch Euer Zimmer.« Der Mann lief zum offenen Ende des Tresens. »Patrick! Kümmere dich um das Pferd des Herrn.«
Ein Junge, der dem Wirt ähnlich genug sah, um eine
enge Verwandtschaft nahezulegen, trat nach vorne und warf Koltak einen kalten Blick zu. »Ich werde dafür sorgen, dass das arme Tier eine gute Portion Futter bekommt und ordentlich gepflegt wird.«
Als Koltak dem Wirt die Treppe nach oben folgte, hörte er einen Mann im Raum unter ihnen sagen: »Na, der hält was auf sich, was meint Ihr?«
»Da hast du recht«, antwortete ein anderer. »Und er hat kein gutes Herz. Man kann es in seinen Augen sehen.«
»Das stimmt wohl«, antwortete der erste. »Da denk ich mir, dass niemand ihn vermissen würde, wenn ihn ein Wasserpferd zu einem schnellen Ritt in den ewigen Schlaf mitnehmen würde.«
Dann öffnete der Wirt eine Tür und betrat den Raum, um eine Lampe anzuzünden. »Ich bringe Euch Euer Abendessen, sobald es zubereitet ist. Das Bad findet ihr, wenn ihr die andere Treppe hinuntergeht, zusammen mit dem Abtritt.«
Koltak stellte die Satteltaschen vor das Bett und wartete, bis der Mann das Zimmer verlassen hatte, bevor er sich in die Kissen sinken ließ.
Sie kannten keine Zauberer. Wussten sie von den Landschaften? Und wenn nicht, wie überlebten sie dann?
Sie hatten keinen Respekt und kannten keine Höflichkeit. Sie behandelten ihn wie einen gewöhnlichen Reisenden.
Er hatte sich nicht so verloren, so einsam gefühlt, seit Peter und er die Reise in die Stadt der Zauberer angetreten hatten, um als Lehrlinge aufgenommen zu werden. Aber damals hatte er seinen Bruder gehabt, auch wenn sie einander nicht besonders gemocht hatten. Jetzt war er fern von Zuhause, und der Status, der selbst den reichsten Adel darauf bedacht sein ließ, den Zauberern Respekt zu bezeigen, bedeutete hier niemandem etwas.
Und das war ein weiterer Stein, den er Sebastian um den Hals hängen würde, wenn es so weit war.
Den ganzen Weg zum Bordell zurück bereitete Sebastian sich auf Lynneas Reaktion vor, wie auch immer sie ausfallen mochte. Er bereitete sich darauf vor, allen Ekel, alle Abscheu zu akzeptieren, die sie ihm gegenüber verspüren mochte, nachdem sie mit angesehen hatte, wie er den Dämon getötet hatte. Er war auf jegliche Reaktion vorbereitet - außer darauf, dass sie ihre Arme um ihn schlang, sobald er ihr Zimmer betrat.
»Bist du in Ordnung?«, fragte sie und drückte ihn fest genug an sich, um seine Rippen anzuknacksen. »Du bist nicht verletzt?«
Er beschwerte sich nicht wegen seiner Rippen oder dem Gefühl, nicht richtig atmen zu können. Er hielt sich einfach nur an ihrer Wärme fest, an der Liebe in ihrem Herzen - weil er wusste, dass er sich nicht mehr lange daran festhalten können würde. Das war auch etwas, auf das er sich auf dem Weg zum Bordell vorbereitet hatte.
»Es geht mir gut«, murmelte er und schob sie endlich soweit zurück, dass er Luft holen konnte. »Wie geht es Teaser?«
Lynnea sah nach hinten zur Tür, die ins Badezimmer führte. »Er hat gesagt, er wolle alleine sein. Er hat mich nicht in seinem Zimmer sitzen lassen, und hier wollte er auch nicht bleiben. Ich glaube, er trinkt.«
Sebastian küsste sie sanft auf die Stirn und trat zur Seite. »Ich würde mir mehr Sorgen um ihn machen, wenn er nicht versuchen würde, sich zu betrinken.«
Lynnea zog die Brauen zusammen. »Möchtest du mir damit sagen, dass du auch vorhast, dich zu betrinken?«
»Ich denke ja.« Er schob sich zur Badezimmertür. »Ich rede wohl besser mit ihm.«
Da es Teaser nicht in den Sinn gekommen war, jemanden aus dieser Richtung auszuschließen, ging Sebastian einfach durch das Bad und öffnete die andere Tür. Er fand Teaser auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an
die lange Seite des Bettes gelehnt, im Arm eine bereits zur Hälfte geleerte Whiskyflasche.
Er setzte sich neben seinen Freund auf den Boden, griff nach der Flasche, nahm einen großen Schluck und reichte sie wieder zurück.
»Das bin ich nicht«, sagte Teaser. »Das bin ich nicht.«
Sebastian lehnte den Kopf ans Bett und fühlte sich, als sei er in den letzten paar Stunden um zehn Jahre gealtert. »Doch, das bist du.«
Teaser sah ihn verletzt an. »Du glaubst, dass ich so bin? Du glaubst, ich trage eine Maske, die ich einfach abnehmen kann? Du glaubst...« Er hob eine Hand zur Stirn und krallte seine Fingernägel in die Haut, als könne er sie abziehen.
Sebastian ergriff Teasers Hand und nahm sie sanft von seinem Gesicht. »So sind wir, Teaser. Es steckt in uns. Du weißt, dass es so ist. So fühlt es sich an, wenn deine Macht sich entfaltet. Wir mäßigen uns, aber so fühlt es sich an.«

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