Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (46 page)

»Danke für diesen Hinweis«, sagte Koltak, plötzlich begierig darauf, sich auf den Weg zu machen. Wenn die Wächter und Wahrer über ihn wachten, wäre er vielleicht schon heute Abend auf dem Weg zurück in die Stadt der Zauberer.
Als Koltak die Tür öffnete, sagte der Wirt: »Reise leichten Herzens.«
Heiße Wut wallte in ihm auf, verbrannte die Aufregung zu Asche. Er drehte sich um und starrte den Wirt an. »Was habt Ihr gesagt?« War dies alles nur ein geschickter Plan gewesen, um einem Zauberer übel mitzuspielen? Hatten sie die ganze Zeit gewusst, was er war und ihre Ahnungslosigkeit nur vorgetäuscht?
Peinlich berührt zuckte der Wirt mit den Schultern. »Tut mir leid, wenn ich Euch beleidigt habe, aber es ist nur eine Redensart. Wir nennen es den
Segen des Reisenden
. Man sagt es hierzulande schon so lange wir zurückdenken können, aber ich bezweifle, dass es irgendeine lebende Seele - oder auch eine tote aus den letzten fünf Generationen - gibt, die Euch sagen kann, was es bedeutet.«
Nein, sie hatten ihre Unwissenheit nicht vorgetäuscht, entschied Koltak, als sein Ärger versiegte. Sie
waren
unwissend. Vielleicht würde er dem Rat nahelegen, eine anständige Brücke zu errichten, um diese Landschaft mit der Stadt der Zauberer zu verbinden. Die Menschen hier verdienten es, über ihre Welt aufgeklärt zu werden - und
er würde sich glücklich schätzen, ihre Aufklärung zu überwachen.
Er verließ die Taverne, fand sein Pferd im Hof vor dem Stall hinter dem Haus und ritt davon, immer den Weg zurück, den er am Tag zuvor gekommen war.
Er sah die Brücke und konzentrierte seinen Verstand auf das, was er auf der anderen Seite finden musste: Tavernen, Spielhöllen, Huren beider Geschlechter.
Sicher, dass er finden würde, was er suchte, hieb er dem Pferd die Fersen in die Flanken und trieb es mit lautem Hufgeklapper über die Brücke... und ein gutes Stück den Weg entlang, bis er es wieder zügeln konnte.
In der dunklen Landschaft, durch die er am Tag zuvor geritten war, hatte es keinen Weg gegeben. Also musste dies die Straße nach Kendall sein, einer Stadt am Meer, in der er ohne Zweifel all die Orte finden würde, die auf Männer zugeschnitten waren, die ihr Leben auf See verbrachten - Tavernen, Spielhöllen und Bordelle.
Aber wenn er dieser Straße folgte, würde er den Sündenpfuhl nicht finden. Würde er Sebastian nicht finden.
Also wendete er sein Pferd um und ritt über die Brücke und ein kleines Stück in Richtung Dunberry. Dann kehrte er zur Brücke zurück, die den einzigen Weg darstellte, diese undankbare Brut in Gestalt seines Sohnes zu finden, der seinem Vater endlich, endlich,
endlich
etwas Gutes tun würde. Er überquerte die Brücke … und fand die Straße nach Kendall.
Und fand die Straße beim nächsten Versuch. Und bei dem danach.
Reise leichten Herzens.
Entweder hatten die Wahrer des Lichts ihn im Stich gelassen, oder die Wächter der Dunkelheit trieben ein Spiel mit ihm. Wie sehr er auch versuchte, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die den Pfuhl ausmachten, er konnte die Landschaft, in der die Wasserpferde hausten, nicht
erreichen. Selbst wenn die Leute hier nichts darüber wussten, wie ihre Welt aufgebaut war, verhielt Ephemera sich doch wie immer. Die Landschaft sah nie anders aus, ihre charakteristischen Eigenschaften waren immer die gleichen, aber es gab hier mehrere Landschaftsschichten. Vielleicht waren nur zwei von dieser Brücke aus zugänglich, aber die eine, die er brauchte, konnte er nicht erreichen. Er konnte nicht in die dunkle Landschaft übertreten.
Koltak schloss die Augen. Alle Ungeduld, aller Zorn hatte ihn verlassen. Alles, was er wollte, war Sebastian zu finden. Mit Sebastian zu sprechen.
Sebastian, Sebastian, Sebastian.
Er trieb das Pferd an, ritt über die Brücke - und in eine Landschaft, die von keiner Straße verschandelt wurde.
Erleichterung durchfuhr ihn. In diese Landschaft war er aus der Stadt der Zauberer übergetreten. Dessen war er sich sicher. Aber gab es hier eine Verbindung in den Pfuhl? Es gab nur einen Weg, es herauszufinden.
Sebastian, Sebastian, Sebastian.
Ohne Grund, eine Richtung einer anderen vorzuziehen, wendete Koltak das Pferd und ritt nach Süden.
 
Sebastian brach zu einem weiteren Rundgang über die Hauptstraße des Pfuhls auf. Er war unterwegs, seit er Lynnea bei Philo abgesetzt hatte, und in Verbindung mit einer unbefriedigenden Nacht und unruhigem Schlaf ließ ihn dieses freudlose Herumstreifen nervös und angespannt werden. Darüber hinaus fühlte er sich, als sei er ein in Einzelteile zerfallenes Puzzle, genau wie die Landschaften, bis auf die Tatsache, dass es niemanden gab, der die Rolle einer Landschafferin einnehmen konnte, um die Teile anzuordnen.
Die reine Macht des Inkubus zu sehen, hatte ihn angewidert. Und die Erkenntnis, dass die Macht der Zauberer,
die in ihm geschlummert hatte, jetzt versuchte, einen Weg zu finden, sich dem Rest seines Wesens anzupassen - oder es zu beherrschen -, hinterließ ein Gefühl der Verwundbarkeit.
Wer war er, wenn er mit Philo sprach, Teaser Anweisungen erteilte, sich danach sehnte, zu spüren, wie Lynneas Körper den seinen berührte? War er ein Mensch, der gemeinsam mit anderen Menschen einen Plan entwarf, den Pfuhl zu verteidigen, ein Zauberer, der Befehle gab, weil niemand den Mut hätte, sich ihm zu widersetzen, oder ein Inkubus, der nach dem kleinsten bisschen Wärme hungerte, die er von einer Frau bekommen konnte, die voller Unschuld gewesen war, bevor sie sich in den Pfuhl verirrt hatte?
Wer war Sebastian? Warum wusste er es nicht mehr? War er nicht ein wenig alt für diese Art der Selbstfindung?
Eines wusste er mit absoluter Gewissheit: Wenn die anderen Neuankömmlinge, die den Pfuhl betreten hatten, reinblütige Inkuben und Sukkuben waren, wie der, den er umgebracht hatte, würde er eher sterben, bevor er einen von ihnen in Lynneas Nähe ließ.
Nein, er würde töten, bevor er einen von ihnen in Lynneas Nähe ließ.
Aus diesem Grund hatte er die letzten Stunden damit verbracht, durch die Straßen zu ziehen, zu jagen. Er würde ihre Ausstrahlung erkennen. Dessen war er sich sicher. Aber wenn sie ihre Macht zurückhielten, konnten sie sich hinter jedem Gesicht verstecken, vielleicht sogar in eine Landschaft des Tageslichts übertreten, wo niemand die Gefahr erkennen würde, bis es viel, viel zu spät war.
Als er an Mr Finchs Laden vorüberging, der fest verschlossen war, hielten Mr Finch und Wayne, der Junge, den er als Lehrling aufgenommen hatte, in der Umgestaltung des Ladens inne, um ihm zuzuwinken - so wie
sie es jedes Mal getan hatten, wenn er vorbeigekommen war. Er war sich nicht sicher, ob sie das taten, um ihm zu versichern, dass sie waren, für wen er sie hielt, oder ob sie darauf achteten, wie lange er brauchte, um eine volle Runde zu gehen, so dass sie Alarm schlagen könnten, sollte er nicht zu angemessener Zeit zurückkehren.
Tageslicht! Würde er den Rest seines Lebens damit verbringen, zum Schutz der Leute durch die Straßen zu laufen, um nach Schwierigkeiten Ausschau zu halten und um sicherzugehen, dass der Pfuhl blieb, wie er sein sollte?
Und was sagte es über ihn, dass er die Aussicht auf ein solches Leben sogar recht ansprechend fand?
Am Ende der Straße, wo aus dem Kopfsteinpflaster plötzlich der unbefestigte Weg wurde, der zu seinem Cottage führte, hielt er einen Moment inne und begann dann, die Straße wieder zurückzulaufen. Wenn er bei Philo ankam, würde er eine Pause einlegen, eine Tasse Kaffee trinken und einen Teller von dem essen, was auch immer gerade angeboten wurde, mit Teaser sprechen und mit Lynnea flirten. Vor allem mit Lynnea flirten.
Und was tun?, fragte er sich unglücklich. Sein Blut in Wallung bringen, die Bedürfnisse, die Sehnsüchte, und sich dann heute Nacht wieder schlafend stellen, damit er sich nicht fragen musste, ob er mehr von ihr nahm, als er sollte?
Aber er
wollte
mit ihr flirten, sie lieben, sie im Arm halten. Sie einfach im Arm halten. War es der Inkubus oder der Mann, der sich danach sehnte? Machte das Wissen darum, was in ihm steckte, ihn wirklich zu einer anderen Person, als er es vor ein paar Wochen gewesen war?
Er verlängerte seine Schritte und lief die Straße hinunter, während er an nichts anderes dachte, als daran, ein paar Minuten mit Lynnea zu verbringen. Sie war dort in Sicherheit. Teaser hatte sich freiwillig dazu bereit erklärt,
ein Auge auf sie zu haben - und sie alle wussten, dass dieses Angebot zum Teil darauf beruhte, dass Teaser vom Anblick des reinblütigen Inkubus, der sein Gesicht trug, noch immer völlig verstört war. Also passte Teaser auf Lynnea auf - und Philo auf Teaser.
Als er näher kam, sah er Teaser aus dem Hof treten. Der Inkubus hob eine Hand zum Gruß und auf seinen Lippen lag fast schon wieder das normale, selbstbewusste Lächeln.
»Mir wurde aufgetragen, nach dir Ausschau zu halten«, sagte Teaser mit einem Funkeln in den blauen Augen. »Es gibt hier eine Dame, die der Meinung ist, du solltest deine Füße ausruhen und einen Happen zu dir nehmen.«
»Die Dame hat recht«, antwortete Sebastian und blickte an Teaser vorbei, um zu sehen, wie Lynnea den Hof betrat, um vier Bullendämonen an einem Tisch zu bedienen.
Teaser warf einen Blick über die Schulter und grinste. »Sie hatte wohl noch keine Möglichkeit, dir davon zu erzählen. Was Bullendämonen angeht, ist das
Sebastian Spezial
eine besondere Köstlichkeit. Und weil sie für die Mahlzeit mit einem Glas reifer, in Öl eingelegter Oliven bezahlt haben, dachte ich schon, Philo würde in Tränen ausbrechen.«
Oliven? Die konnte man meistens noch nicht einmal auf dem Schwarzmarkt kaufen. Und wie viele Male hatte er Philo brummeln hören, dass ein bestimmtes Gericht nicht ganz so schmeckte, wie es sollte, weil er kein Olivenöl bekommen konnte? Was hatte der Mann zubereitet, das den Bullendämonen so gut schmeckte?
»Sebastian Spezial?« Der Name drang schließlich zu ihm durch.
Teaser grinste. »Gemüseomelette. Anscheinend hat Lynnea dem ersten Bullendämon, der eines bekam, erzählt, dass es ein ganz besonderes Gericht sei, das sie
nur für dich macht. Deshalb
Sebastian Spezial
. Aber dem Bullendämon hat es geschmeckt, und dann ist er gegangen und hat es all seinen Freunden erzählt, und jetzt -«
»Wir kriegen nie wieder Omelette, oder?«, fragte Sebastian, plötzlich wehmütig ob der Eier, die er noch nie probiert hatte. »Wenn die Bullendämonen bereit sind, sie mit Oliven zu bezahlen, wird Philo dem Rest von uns kein einziges Ei mehr opfern.«
»Na ja, du könntest schon welche bekommen, weil Lynnea diejenige ist, die die Omelettes macht. Und für den Rest von uns hoffe ich, dass dein Bauernfreund den Vorräten, von denen er uns bereits versprochen hat, sie in den Pfuhl zu bringen, noch ein paar Eier hinzufügen kann.«
Sebastian grinste. »Ich frage mich, ob William Farmer schon einmal Oliven probiert hat. Das könnte auf ein ziemlich gutes Geschäft für uns herauslaufen.«
In diesem Moment drehte sich Lynnea, die ihr Tablett voller Omelette und Toast abgeliefert hatte, um und erblickte ihn - und alles an ihr erstrahlte vor Freude.
Die Wärme ihrer Gefühle durchströmte ihn, und für einen kurzen Moment ließ er alle Vorsicht fallen, um sich diesem Gefühl vollkommen hinzugeben.
In diesem Augenblick durchfuhr ihn eine andere Sinneswahrnehmung. Diese hatte Klauen und versuchte, ihn nach unten zu ziehen, ihn in Emotionen zu ertränken. Er spürte, wie die Macht der Inkuben sich in ihm entfaltete, aber sie war primitiv, wütend, erfüllt von einem bösartigen Hunger.
Lynnea erstarrte und blickte ihn an. Teaser gab ein undeutliches Geräusch von sich und wich einen Schritt zurück.
»Beschütze Lynnea«, flüsterte er Teaser zu. Dann drehte er sich um und blickte auf die Straße.
Alle vier bewegten sich auf ihn zu. Sie alle hämmerten auf seine Gefühle ein, auf seine Bedürfnisse und Sehnsüchte,
und versuchten, einen Weg hinein zu finden, um ihn mit ihrer Macht zu verführen und ihn empfänglich zu machen, für alles, was sie mit ihm vorhatten.
»Sebastian«, schnurrte einer der Sukkuben. »Schließe dich uns an. Herrsche mit uns über den Pfuhl. Das ist deine einzige Chance.«
Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Sie kamen näher, Schulter an Schulter, ihre taktgleichen Schritte ein geschmeidiger Tanz, den kein Mensch jemals nachahmen könnte. Und hinter ihnen wuchs die Zuschauermenge, ihre Gesichter hasserfüllt und dunkel.
»Ich herrsche bereits über den Pfuhl«, sagte Sebastian, jedes Wort eine Willensanstrengung. Wie lange könnte er sich ihnen widersetzen? Wie lange würde es dauern, bevor die Verlockung, von Gefühlen überschwemmt zu werden, zu stark wurde, um ihr zu widerstehen?
»Er herrscht über den Pfuhl«, spottete ein Inkubus. In seinen Augen glitzerte es bösartig, als er den Kopf wandte, um sich an die Zuschauer zu wenden. »
Er
ist derjenige, der eurer Erfüllung im Weg steht.
Er
ist derjenige, der verhindert, dass ihr bekommt, was euch zusteht.« Der Inkubus blickte Sebastian an. »
Er
ist derjenige, der vernichtet werden muss.«
Das Raunen der Menge wurde immer lauter, als sie sich näherte und sich verteilte, um ihn einzukreisen. »Verjagt ihn!« »Zeigt ihm, wer hier wirklich das Sagen hat!« »Der Bastard glaubt, er kann die Regeln machen und mir sagen, was ich zu tun habe? Bringt ihn unter die Erde!«
Sebastian starrte die vier Reinblüter an. In den Stunden, die er damit verbracht hatte, nach ihnen zu suchen, hatten sie die dunklen Gefühle der Besucher des Pfuhls genährt. Jetzt waren diese Männer davon überzeugt, dass es völlig in Ordnung wäre, ihn für die Erfüllung ihrer Begierden zu töten. Begierden, die sie am Ende das Leben kosten würden.
Er fühlte, wie die Menge sich regte, blickte sich kurz um. Einige der Männer schwangen abgebrochene Stuhlbeine wie Knüppel. Andere hatten Taschenmesser gezückt. Nur einer müsste sich auf ihn stürzen, und sie alle würden versuchen, ihn in Stücke zu reißen. Selbst wenn die Bewohner des Pfuhls in den Kampf eingreifen würden, um ihm zu helfen, würde es Verletzte geben. Vielleicht sogar Tote.
Die Reinblüter wussten, dass er einen von ihnen getötet hatte. Sie würden ihr Leben nicht aufs Spiel setzen, solange die Menschen bereit wären, ihnen diese schmutzige Aufgabe abzunehmen. Aber sie versuchten noch immer, ihn zu locken, ihn für ihre Angriffe empfänglich zu machen.

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