Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (26 page)

»Wir bringen euch. Ihr fahrt.«
Während er noch darüber nachdachte, wie er das Angebot ablehnen konnte, ohne verletzt zu werden, richteten die Dämonen ihre ganze Aufmerksamkeit auf Lynnea.
»Mitfahren?«, fragten sie.
Lynneas leuchtende Augen waren Antwort genug. Sein kleines Löwenhäschen wollte mitfahren. Er wünschte bloß, dass die Begeisterung, die aus ihrem Gesicht sprach, etwas - irgendetwas - mit
seiner
Anatomie zu tun hätte und nicht mit einem Dämonenrad.
»In Ordnung, lass uns mitfahren«, sagte er und versuchte,
das Knurren in seiner Stimme zu verstecken, bevor es als Herausforderung fehlgedeutet wurde. Dabei konnte er nur verlieren, und ein kastrierter Inkubus wäre niemandem von Nutzen, am wenigsten sich selbst.
Er schwang ein Bein über eine Maschine und musste sich auf die Zunge beißen, um nicht anzufangen zu hecheln, als Lynnea die andere bestieg - was in ihm den verzweifelten Wunsch weckte, herauszufinden, ob sie außer nackter Haut noch etwas anderes unter dem Catsuit trug.
Mr Finch war zweifellos ein völlig verderbter Mensch.
Zwischen dem Pfuhl selbst und dem Cottage lag weniger als eine Meile, aber die Dämonenräder schienen nicht in der Lage zu sein, den direkten Weg zu finden. Sie sausten durch die Landschaft, fuhren im Slalom um die Bäume, rasten Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter und gaben seltsame Geräusche von sich, die entfernte Ähnlichkeit mit freudigem Gelächter aufwiesen, während Lynnea jauchzte, quietschte und kicherte.
Als er schließlich darauf bestand, dass sie jetzt zu müde war, um noch länger zu spielen - und sie ihm pflichtbewusst zustimmte -, fanden die Dämonen den Weg zum Cottage doch.
»Auf Wiedersehen«, sagte Lynnea und winkte den Dämonen zu, als Sebastian sie ins Haus drängte. »Vielen Dank für die wunderschöne Fahrt.«
Er schloss die Tür, bevor die Dämonenräder beschlossen, mitzukommen, und erstarrte, als er sah, dass auf dem Tisch vor der Couch eine Lampe brannte. Er ließ nie eine Lampe brennen, wenn er das Haus für längere Zeit verließ. Das Feuerrisiko war einfach zu hoch.
»Bleib hier«, flüsterte er und trat vorsichtig in den Raum. Dann bemerkte er das in braunes Papier eingewickelte Päckchen neben der Lampe und den Zettel, der unter der Schnur steckte - und atmete erleichtert auf, als er die Handschrift erkannte.
Glorianna.
Vorsichtig drückte er mit einem Finger auf das Päckchen und erhielt so die Antwort auf seine nächste Frage. »Ich glaube, meine Cousine hat deine anderen Sachen hergebracht.«
»War das nicht in Ordnung?«, fragte Lynnea, die sein Verhalten verwirrte.
»Doch. Es ist sehr nett.« Er ging zu ihr zurück und griff an ihr vorbei, um etwas zu tun, das er in den zehn Jahren, in denen er hier lebte, noch nie getan hatte. Er schloss die Tür ab.
»Komm rein«, sagte er und zündete noch ein paar Lampen an.
Sie ging durch den Raum und sah sich alles genau an. Dann blieb sie stehen und betrachtete zwei gerahmte Skizzen an der Wand. »Von wem sind die?«
»Von mir«, antwortete er schroff, nicht sicher, ob es ihm peinlich war, das zuzugeben, oder ob er ihre Meinung fürchtete. Vor ein paar Jahren hatte er Nadia seine Skizzen gezeigt, nachdem sie ihn lange genug schikaniert hatte, weil sie wissen wollte, wie er seine Zeit verbrachte, wenn er nicht durch den Pfuhl zog. Sie hatte drei der Zeichnungen behalten - eine für sich, eine für Glorianna und eine für Lee - und hatte ihm diese zwei rahmen lassen.
Er hatte ihr nie gesagt, wie viel ihm das bedeutet hatte.
»Sie sind wunderschön«, sagte Lynnea.
Und auch
dieser
Frau würde er niemals erzählen, wie viel ihm ihre Worte bedeuteten.
»Mir gefällt dein Zuhause, Sebastian.«
Er ging auf sie zu, ohne nachzudenken, sehnte sich zu sehr danach, sie zu spüren, um nachzudenken. Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar und genoss das Gefühl, als seine Lippen mit ihren verschmolzen, wollte mehr, wollte alles.
Und er konnte alles haben. Das erkannte er an der Art, wie sie ihre Arme um ihn schlang, wie sie auf seine Küsse reagierte. Er konnte diesen schrecklichen Hunger stillen und ein Feuer in ihr entfachen, an das sie sich den Rest ihres Lebens erinnern würde. Alles, was sie verlieren würde, war ihre Jungfräulichkeit.
Er aber könnte sein Herz verlieren, wenn er es nicht bereits verloren hatte.
Sie gehört nicht hierher.
Die Worte schlichen sich in seine Gedanken, nagten an ihm, erstickten sein Verlangen. Er wollte diese eine Nacht mit ihr, aber er konnte sie nicht bekommen. Nicht um ihret-, sondern um seinetwillen.
Er ließ den Kuss zärtlicher werden, zögerte das Ende hinaus, weil es der letzte sein würde. Dann trat er zurück und löste sich aus ihren Armen.
»Wenn wir ausgeschlafen haben, bringe ich dich zur Schule der Landschafferinnen.«
»Aber …« Sie starrte ihn an. In ihren Augen verwandelte sich unerfülltes Verlangen in den Schmerz der Zurückweisung. »Aber ich bin ein schlechter Mensch. Mutter hat es auch gesagt.«
Er schüttelte den Kopf. »Du bist einer der besten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Wenn sie das nicht erkennen konnte, liegt der Fehler bei ihr, nicht bei dir. Du gehörst nicht an einen Ort, an dem die Sonne niemals aufgeht. Du gehörst nicht in den Pfuhl.«
Als er einen Schritt nach vorne trat, um den stechenden Schmerz der Ablehnung zu lindern, zog sie die Schultern zusammen und wandte sich ab.
Kein Trost. Kein glückliches Ende einer glücklichen Begegnung.
Vielleicht war es gut so … für sie beide.
»Das Schlafzimmer ist hinter der Tür. Du kannst in dem Bett schlafen, das dort steht.«
Sie fragte nicht, wo er schlafen würde. Sie lief einfach
nur durch den Raum, hob das Paket mit ihren Kleidern auf, ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür.
Sebastian stand noch lange da und starrte die Schlafzimmertür an, bevor er sich die Schuhe auszog und sich auf der Couch ausstreckte.
Er hatte das Richtige getan.
Also warum fühlte er sich dann so schlecht?
Kapitel Zehn
Im schwindenden Licht des Sommerabends saßen sie auf dem Dämonenrad. Lynnea hatte die Arme um ihn geschlungen und schmiegte sich an seinen Rücken. Selbst hier, selbst jetzt konnte er der Nacht nicht entfliehen. Der Tag zeigte sich noch einmal von seiner schönsten Seite, bevor er sich seinem Rivalen ergab. Aber das spielte keine Rolle. Er gehörte der Nacht. Und Lynnea gehörte dem Tageslicht.
Die Schule der Landschafferinnen erstreckte sich über mehrere Morgen Land, die von einer hohen Steinmauer umgeben waren. Grenzen und Grenzlinien. Eine Welt voller Mauern, um die Freiheit zu erhalten. Hatten die ersten Erschafferinnen dieses Bild vor Augen gehabt, als sie Ephemera in Stücke schlugen? Hatten sie geplant, dass ihre Welt in Bruchstücken erhalten werden würde, oder hatten sie geglaubt, dass ihre Nachkommen in der Lage sein würden, die Einzelteile wieder zusammenzufügen?
Lege nie all deine Eier in den gleichen Korb
, hatte Tante Nadia ihm einst gesagt. Damals hatte er die Bedeutung nicht verstanden, aber jetzt, als das Dämonenrad die Straße entlangflog, fragte er sich, ob es wirklich klug war, so viel von nur einem Ort aus zu kontrollieren.
Aber das war nicht seine Entscheidung. Natürlich hatte die Mehrheit der Bewohner Ephemeras keinen Einfluss in dieser Frage. Alles lag in den Händen der Landschafferinnen. Und vielleicht in denen der Zauberer, da sie entschieden, wann jemand zu unkontrollierbar geworden
war und fortab in einer dunklen Landschaft leben musste.
Reise leichten Herzens
, dachte Sebastian. Vor allem, wenn du
diesen
Ort betrittst.
»Da ist der Eingang«, sagte er mit lauter Stimme, um sicherzugehen, dass ihn der Dämon auch verstand.
Er bekam nur ein Knurren zur Antwort.
Es war nicht schwierig gewesen, den Dämon zu überreden, sie zur Schule zu bringen. Er hatte nur erwähnt, dass Lynnea sonst vielleicht weit laufen müsste.
Vielleicht hätten sie laufen sollen. Sie hatten zwei andere Landschaften durchqueren müssen, bevor sie eine Brücke fanden, die sie in den Teil Ephemeras bringen würde, der den Landschafferinnen gehörte. Wenn sie zu Fuß durch diese Landschaften gegangen wären, hätten sie dann einen Ort gefunden, der sie beide gleichermaßen gerufen hätte? Eine neue Heimat, ein neuer Anfang. Für ihn und Lynnea.
Aber der Pfuhl brauchte ihn, und jeder Tag, den er fort war, konnte die Landschaft für einen anderen Willen empfänglich werden lassen. Für einen dunklen Willen.
Sie verließen die Hauptstraße und fuhren durch den Eingang auf das Schulgelände. Der Dämon wurde langsamer, als er durch das verlassene Weideland schwebte.
»Wo sind die Tiere?«, fragte Lynnea und sah sich um.
»Vielleicht stehen sie über Nacht im Stall«, antwortete Sebastian. Aber etwas stimmte hier nicht. Die Stille lag zu schwer über dem Land, zu erwartungsvoll.
Sie hatten die Hälfte des Weges vom Eingang zu den Schulgebäuden hinter sich gebracht, als das Rad plötzlich anhielt und der Dämon begann, zurückzuweichen.
Sebastian stellte die Füße auf und stemmte die Absätze in den Boden. »Nein. Halt.«
Der Dämon knurrte und bewegte sich weiter zurück auf die Hauptstraße zu.
»Halt an!« Als der Dämon zitternd zum Stehen kam,
berührte er Lynneas Hand, um ihr zu bedeuten, sie solle absteigen. »Tageslicht! Was ist denn los mit dir?«
»Sebastian?« Lynnea schlang die Arme um sich. »Wo sind die Menschen, die hier leben?«
»Wahrscheinlich in den Gebäuden. Es ist schon fast dunkel.« Aber aus irgendeinem Grund stellten sich seine Nackenhaare auf. Wahrscheinlich war das ganz normal, wenn jemand wie er diesen Ort betrat. Schließlich betrachteten die Landschafferinnen Dämonen nicht als eigenständige Persönlichkeiten. Tante Nadia und Glorianna waren mit ihrer Ansicht, dass auch Dämonen das Recht auf ihren eigenen kleinen Platz auf der Welt hatten, eine Ausnahme.
»Hier«, sagte er, »gib mir das.« Er nahm das Bündel, das Lynnea auf dem Rücken trug. Glorianna hatte auf dem Weg zum Cottage noch ein paar andere Sachen für die junge Frau gekauft. Die Hose, das Hemd und die leichte Jacke, die Lynnea jetzt trug, eigneten sich gut für eine Reise. Der Rest ihrer Kleidung befand sich in dem Bündel.
Ob sie den Catsuit behalten hatte?
Er legte sich einen Riemen über die Schulter, nahm dann Lynneas Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. Er warf dem Dämonenrad einen strengen Blick zu und sagte: »Warte auf mich.«
Fühlte sich die Schule immer so an, als würde der Ort sich verschieben und ausdehnen, selbst wenn man ganz still stand?
»Mir gefällt dieser Ort nicht«, flüsterte Lynnea.
Ihm gefiel er auch nicht, und wenn er sich immer noch so unwohl fühlte, nachdem er mit einer der Landschafferinnen gesprochen hatte, würde er sich eine Ausrede einfallen lassen, sie beide von hier fortbringen. Dann würde er Lynnea mit zu Tante Nadia nehmen.
Das hätte ich von Anfang an tun sollen.
»Na komm«, sagte er und führte sie auf die Gebäude
zu. »Lass uns jemanden finden, der weiß, wer hier das Sagen hat.«
Das nächste Gebäude war zwei Stockwerke hoch und hatte die Form eines Quaders. Wahrscheinlich die Klassenräume. Zu dieser Tageszeit kein sehr viel versprechender Ort, um einen Lehrer zu finden, aber immer noch besser, als weiter herumzuirren.
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung hinter den Fenstern im ersten Stock war, entschied dann aber, dass es ein Vogel oder ein anderes kleines Tier im Geäst des Baumes gewesen sein musste, der das Gebäude beinahe berührte. Aber seine Nerven waren bis aufs Äußerste gespannt, und der Drang, auf das Dämonenrad zu steigen und diesen Ort zu verlassen, wurde immer stärker.
Es erschien ihm seltsam, dass die Doppeltür des Gebäudes nicht ganz geschlossen war. Würden sie so unbesorgt alles offen stehen lassen, wenn der Unterricht für den Tag beendet war? Vielleicht hieß das, dass
wirklich
noch jemand im Gebäude war - eine Schülerin, die schnell ein vergessenes Buch holen wollte und sich nicht vergewissert hatte, ob die Tür geschlossen war, weil sie in ein paar Minuten wieder zurückkommen würde.
Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als er die Tür ganz aufstieß.
Lynnea zog sich die Jacke über Mund und Nase, als sie das Gebäude betraten. »Oh. Hier riecht es aber schlecht.«
Das tat es wirklich. Deswegen musste er auch nachsehen. Wenn hier jemand allein und verletzt war, musste er tun, was in seiner Macht stand, um zu helfen - oder um Hilfe zu holen, wenn es sonst nichts gab, was er tun konnte.
Beinahe hätte er Lynnea gebeten, bei der Tür auf ihn zu warten. Schließlich war der nächste Klassenraum nicht mehr als zehn Schritt vom Eingang entfernt. Aber selbst zehn Schritt waren ihm zu weit.
Er drückte ihre Hand und näherte sich der ersten Tür. Dabei ließ er sie einen Schritt hinter sich gehen, hielt ihre Hand aber fest. Die Tür war nur angelehnt, ließ sich aber nicht weiter öffnen, als er sie leicht anstieß. Also drückte er mit der Schulter gegen das Holz.

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