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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (51 page)

»Heimtückischer Bastard«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, wie du mir diese Angst gleich einem Messer in den Bauch stoßen konntest, aber ich werde nicht vergessen, dass du mein eigenes Herz als Waffe gegen mich einsetzen kannst. Ich werde die Landschaften in meiner Obhut nicht aufgeben. Nicht einmal diese. Und ich werde dir keine von ihnen überlassen. Ich werde einen Weg finden, dich zu besiegen. Ich werde einen Weg finden, alleine zu tun, wozu es das letzte Mal hunderte meiner Art brauchte. Und wenn ich fertig bin, werde ich dich in einer Landschaft einschließen, die sogar
du
unerträglich findest.«
Sie schloss die Augen und begann, langsam und gleichmäßig zu atmen, bis sie die Resonanz, die durch das Land hallte, spüren konnte. Bis sie die Dissonanz wieder spüren konnte.
Und noch etwas, angezogen von der Stärke ihrer Gefühle.
Ephemera. Bereit, ihren Empfindungen Gestalt zu verleihen und sie Wirklichkeit werden zu lassen.
Warte,
sprach sie und sandte sanfte Zurückhaltung aus, während sie zum Teich zurücklief.
Warte.
Als sie das Blut und das Erbrochene roch, hielt sie an. In ihrem Geist entstand ein Bild der Linien der Macht - rot vor Zorn, schwarz vor Verzweiflung -, die von dort,
wo sie stand, geradewegs ins Herz des Teiches strömten. Dann ließ sie ihre Gefühle durch sich hindurchfließen und ebnete ihnen einen Weg.
»Verzweiflung schafft die Wüste«, flüsterte sie und sah zu, wie Gras und fruchtbarer Boden sich in Sand verwandelten, fühlte, wie das Wasser im Teich zu Sand wurde. »Und Zorn … schafft … Stein.«
Felsbrocken brachen aus der Erde hervor, formten einen Käfig um das, was einst der Teich gewesen war. Kleinere Steine fassten den Sand ein, trennten ihn vom Gras. Als der letzte Stein unter ihren Füßen Gestalt annahm, trat Glorianna zurück.
Veränderte Landschaften. Ein Stück Wüste an einem Ort, der keine Wüsten kannte. In eine Richtung eine Grenzlinie … aber keine Grenze. Dieser Ort würde für das Auge sichtbar sein und konnte darum gemieden werden. Jeder, der die Grenzlinie aus Steinen übertrat, würde kaum mehr finden als Hitze und Sand. Und keinen Weg zurück in die Landschaft der Wasserpferde.
Die Todesdreher würden an diesem Ort sterben.
Aber irgendwo in dieser Landschaft war noch immer ein Ankerpunkt - oder eine Brücke -, die es dem Weltenfresser erlaubt hatte, zurückzukehren.
Genug,
dachte sie.
Lee kann den Standort einer Brücke aus einer Meile Entfernung bestimmen, aber du kannst es nicht. Das ist nicht deine Gabe. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen.
Sie lief eine Weile umher, kümmerte sich nicht um die Richtung, wollte einfach das Land spüren. Es war eine dunkle Landschaft, aber es war gutes Land. Reiches Land. Oh, es waren menschliche Ängste in den Boden gesickert, aber ebenso Erleichterung und Freude.
Sie lächelte. Die Wasserpferde waren dabei, sich zu verändern, betrachteten nicht mehr alle Menschen als Beute oder Feinde. Sie begannen zu erkennen, dass es genauso viel Spaß machte, einem betrunkenen Narren
Angst einzujagen, indem man ihm einen schnellen Ritt und ein kaltes Bad verpasste, wie einen Menschen zu töten. Und dem Menschen, dem der Moment gegeben wurde, zu erkennen, dass sein Leben schnell ein Ende haben könnte, und dem eben dieses Leben neu geschenkt wurde, erhielt ebenfalls die Möglichkeit, sich zu verändern. Gelegenheit und Entscheidung. Für einige würde sich nichts ändern. Für andere würde es neue Wege öffnen, sie in eine andere Landschaft bringen, ihrer Welt ein wenig mehr Licht schenken.
Wieder beruhigt, konzentrierte sie sich auf ihr Herz und ihren Willen, ging den Schritt zwischen Hier und Dort und betrat einen Moment später ihren Garten.
Erst als sie zurück in ihrem Haus war, um auf Lees Rückkehr zu warten, dachte sie wieder an den Pferdekopf - und fragte sich, was wohl mit dem Reiter geschehen war.
 
Nadia saß alleine auf einer Bank in ihrem persönlichen Garten und sah zu, wie Lee anhielt und die Pflanzen betrachtete, die über Nacht braun geworden waren.
»Frost?«, fragte Lee, als er auf die Bank zulief. »Zu dieser Jahreszeit?«
»Frost«, stimmte Nadia ihm traurig zu. Sie tippte sich an die Brust. »Er kam von hier.«
Lee setzte sich neben sie und sah sie an.
Er hatte die Augen seines Vaters, dieses Grün, das manchmal sanft und verträumt sein konnte und sich bei schlechter Laune zu einem stürmischen Grau verdunkelte - oder wie jetzt, klar und durchdringend war.
Ihr Junge. Aber er gehörte nicht wirklich ihr. Schon seit vielen Jahren nicht mehr.
»Was belastet dich, Mutter?«, fragte Lee behutsam.
Nein, er war nicht ihr Junge. So sehr er sie liebte - und sie wusste, dass er das tat -, er gehörte nicht ihr. »Hat Glorianna dich geschickt?«
»Sie weiß, dass etwas nicht stimmt. Etwas, das stark genug ist, um in deinen Landschaften widerzuhallen.«
»Sie hat recht.« Schließlich blieb Glorianna Belladonna kein Geheimnis des Herzens verborgen. »Als ich eine Stadt in einer meiner Landschaften aufgesucht habe, hat mich etwas berührt. Mich verseucht.«
Lee versteifte sich. »Ein Wächter der Dunkelheit? Denkst du, einer von
ihnen
hält sich in deinen Landschaften auf?«
War dort einer von
ihnen
auf dem Marktplatz gewesen? »Vielleicht. Oder vielleicht war es die Freude, die einige der Menschen ob des Unglücks anderer empfanden. Ein Wächter der Dunkelheit nährt Gefühle, die sich bereits im Herzen einer Person befinden. Er kann keinen Zweifel schaffen, wenn der Samen des Zweifels nicht bereits gesät ist.«
»Ich verstehe.« Lee zupfte an seiner Unterlippe. »Also bist du aus all den Generationen die einzige aller Landschafferinnen, die nicht über die gesamte Spanne der Gefühle verfügt.«
»Was?«
»Du wirst niemals wütend oder traurig oder grantig oder fragst dich, ob du eine gute Entscheidung getroffen hast. Du bist nicht einfach stinksauer, weil es eben der Tag dafür ist. Nein, du bist nie etwas anderes als glücklich, freundlich, großzügig, nett, loyal, liebevoll. Du bist einfach eine tropfende Lache der Güte.«
Tief verletzt sprang Nadia auf, überzeugt davon, dass sie platzen würde, wenn sie sich nicht bewegte. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich dir einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen oder dir den Mund mit Seife ausspülen soll.«
»Bevor du eines von beidem versuchst, erinnere dich daran, was du uns beigebracht hast«, sagte Lee ruhig. »Das menschliche Herz ist zu jeder vorstellbaren Gefühlsregung fähig - gute wie schlechte -, und es ist Teil
der Reise durch das Leben, Tag für Tag zu entscheiden, welche dieser Gefühle wir nähren, damit sie stärker werden, und von welchen Gefühlen wir uns abwenden, weil wir nicht wollen, dass sie unser Leben beherrschen. Aber wir tragen diese Gefühle trotzdem in uns. Die Schatten im Garten. So nennen sie die Landschafferinnen doch, oder nicht?«
Sie fühlte sich, als hätte er ihr kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet und sie aus einem verschwommenen Traum geweckt. Sie setzte sich auf die Bank. »Schatten im Garten«, sagte sie leise, und das Echo des Gefühls, das sie als Schülerin verspürt hatte, als dieser Satz begann, eine Bedeutung anzunehmen, stieg in ihr auf. »Ja, so nennen wir sie.«
»Und jetzt, da sich die Dinge zum Schlechten wenden, und die ganze Welt davon abhängt, welche Entscheidungen sie trifft, fragst du dich, was in Glorianna steckt, das sie zu Belladonna macht?«
Schamesröte überzog Nadias Wangen. »Ja.«
Lee setzte sich anders auf die Bank, um es bequemer zu haben. »Weißt du, wo die Kaffeebohnen herkommen?«
Nadia sah ihn mit gerunzelter Stirn an, verwirrt vom plötzlichen Themenwechsel. »Sie kommen aus einem Land, das von hier aus weit im Süden liegt. Eine -«
»Dämonenlandschaft.«
Sie starrte ihn an - und fragte sich, warum in seinem Lächeln sowohl Belustigung als auch Trauer lag.
»Nicht alle«, sagte Lee. »Die Schiffe, die aus jenen südlichen Ländern Handelshäfen anlaufen, führen Kaffeebohnen, die auf Kaffeefarmen angebaut werden. Nein, Farm ist nicht das richtige Wort, aber das spielt keine Rolle. Diese Orte sind in der Hand von Menschen. Aber die Kaffeebohnen, die den Weg sowohl in einige deiner als auch in Gloriannas Landschaften finden, stammen von einem Stück Land, das von einer Dämonenrasse bewohnt wird.«
»Das hast du mir nie erzählt.«
»Du liebst sie und würdest bis zum letzten Atemzug kämpfen, um sie vor den Zauberern zu beschützen, aber du hast dich nie wohl damit gefühlt, dass Glorianna die Resonanz der dunklen Landschaften teilt, in denen Dämonen leben. Also möchte ich dir von dieser einen erzählen.«
Sie sah ihm in die Augen und wusste, dass sie ihm zuhören, ihn verstehen musste. Oder sie würde ihre Kinder verlieren. Beide.
Ihre Kehle war so zugeschnürt, dass sie nicht sprechen konnte, also nickte sie nur.
»Ich war mit Glorianna zusammen an dem Tag, an dem die Resonanz dieser Dämonenlandschaft so stark wurde, dass sie antworten musste. Sie hatte in ihrem Garten gearbeitet, den Boden einer ihrer ›Warteplätze‹ umgegraben, und ich war bei ihr, um ihr Gesellschaft zu leisten und mich auszuruhen, denn ich war in den vorangegangenen Wochen viel gereist. Ich sah, wie sie blass wurde, sah das Entsetzen in ihren Augen, als sie ihre Hände flach auf die frisch umgegrabene Erde presste. Sie musste gehen, sofort, mit dem Schmutz an den Händen und in den alten Kleidern, die sie im Garten trug. Ich habe mich an ihr festgehalten, und wir sind den Schritt zwischen Hier und Dort gegangen.
Ich bin mir nicht sicher, wer sich mehr erschreckt hat, als wir in dieser Landschaft auftauchten - Glorianna und ich … oder die heiligen Männer der verschiedenen Stämme, die sich versammelt hatten, um die Große Mutter um Hilfe zu bitten. Sie baten um Schutz vor ihren Feinden und plötzlich erschienen zwei der Feinde in ihrem Bannkreis.
Aber sie erkannten, was sie war. Sie kannten alte Geschichten über Frauen wie sie, weitergegeben von den heiligen Männern. Sie nannten sie ›Die mit dem Herzen gehen‹.« Lee hielt einen Moment inne. »Weißt du, was sie
wollten, Mutter? Frieden. Durch Teile ihres Landes laufen Gold- und Silberadern. Und dann gibt es noch das Land an sich. Die Menschen, die bereits alles Land in der Umgebung kontrollierten, wollten sie vertreiben. Aber dieser Ort ist alles, was sie auf der Welt haben. Er birgt ihre Wurzeln, ihr Leben. Sie wollen einfach dort wohnen und sich um das Land kümmern. Sie haben genug Umgang mit Menschen gehabt, um zu wissen, dass es ›schöne Dinge‹ gibt, die sie gerne hätten, und für die sie gewillt sind, Handel zu treiben. Aber die menschlichen Händler, die einen Weg in ihr Land gefunden hatten, waren nicht ehrlich. Sie brachten andere Männer mit, die bereit waren, ganze Dörfer niederzubrennen und alle umzubringen, bevor man im Gegenzug sie umbrachte.«
»Sie hat sie aus der Welt genommen«, sagte Nadia leise.
»Ja. Sie hat die Landschaft verändert, so dass ihre Grenzen das Land der Menschen in diesem Teil Ephemeras nicht länger berührten.«
»Aber … du hast gesagt, die Kaffeebohnen kämen von dort.«
Lee nickte. »Ein paar Monate lang lag der einzige Zugang zu dieser Landschaft in Gloriannas Garten, und sie war die Einzige, die diesen Ort erreichen konnte. Eines Tages begleitete sie mich dann, als ich die Brücken in einer ihrer Landschaften überprüfen wollte, und sie lief eine Straße hinunter, die zu einem kleinen Dorf führte. Als wir dort ankamen, landeten wir in einem Laden. Die zwei Brüder, die das Geschäft führten, beschwerten sich über eine versprochene Lieferung, die an jemand anderen in einer anderen Stadt verkauft worden war, der ein Vermögen für einen Sack Kaffeebohnen bezahlen konnte. Sie hatten eine Mühle und zwei Kannen zum Aufbrühen, und sie hatten den Traum, ihren Laden um einen Raum zu erweitern, um ihn zur Kaffeestube des Dorfes zu machen. Aber die Händler, welche die Säcke mit Kaffee von
den Häfen ins Binnenland brachten und Brücken überqueren mussten, um verschiedene Landschaften zu erreichen, neigten dazu, alles was sie hatten dem Ersten zu verkaufen, der den Preis bezahlen konnte. Weniger Zeit auf Reisen bedeutete mehr Gewinn - und verringerte die Wahrscheinlichkeit, eine Brücke zu überqueren und an einem Ort zu landen, an den der Händler nicht gelangen wollte.«
Nadia erriet, wohin die Geschichte führte und lächelte, obwohl sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Na ja, das Ende vom Lied war, dass Glorianna sagte, dies sei ein Ort für Gelegenheit und Entscheidung, also schuf ich eine Brücke zwischen den zwei Landschaften. Jetzt haben die Händler, die bereit sind, Handel mit den Dämonen zu treiben, um die ständige Versorgung mit Kaffeebohnen zu sichern, ihre Kaffeestube, und sie haben auch ihren Laden ausgebaut, weil sie Säcke voll Kaffeebohnen an Händler in den größeren Städten ihrer Umgebung verkaufen können. Mehr Handel bedeutet, dass die Menschen in dem Dorf eine größere Warenauswahl haben - und auch, dass Quellen für die Güter erschlossen werden, die die Dämonen im Tausch für ihre Kaffeebohnen haben wollen. Und es gibt da einen Mann, Lehrer von Beruf und Abenteurer im Herzen, der jetzt in der Landschaft der Dämonen lebt, ihnen die Sprache der Menschen beibringt und als Übersetzer dient, wenn sie die Brücke überqueren, um mit den zwei Brüdern aus dem Laden Tauschhandel zu treiben.«
Lee hielt inne. Nadia sah, wie sich seine Kehle bewegte, als müsse er ein überwältigendes Gefühl herunterschlucken.
»Weißt du, was diese Dämonen sagen, wenn jemand sie fragt, wo sie herkommen? ›Ich komme aus Belladonnas Herz‹. Also sag mir, Mutter: Wie urteilen wir über eine dunkle Landschaft? Ist sie dunkel, weil diejenigen, die bereits dort leben, sich weigern, den Menschen ihren
Teil der Welt zu überlassen? Urteilen wir aufgrund der Farbe und Beschaffenheit ihrer Haut darüber, wer gut und wer schlecht ist - oder aufgrund der Resonanz ihrer Herzen?«
Die Tränen fielen, spülten ihr Herz rein von jener Dunkelheit.
Ich hätte schon vor langer Zeit nach diesen Landschaften fragen sollen.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich habe mir neulich den Pfuhl angesehen.«
Fassungslose Stille. Dann prustete Lee vor Lachen. »Oh, Sebastian muss geschwitzt haben wie ein Tier, als du dort aufgetaucht bist.«

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