Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (52 page)

Verärgert wurde sie sich der Komik der Geschichte bewusst. »Er hat es besser aufgenommen, als dieser andere Junge, Teaser. Der war ganz kokett, bis er herausgefunden hat, dass ich Sebastians Tante bin und dann -«
Lee heulte auf.
Nadia versetzte ihrem Sohn einen festen Schlag auf die Schulter. »Das ist nicht lustig. Um Himmels willen, Lee, er ist ein Inkubus, und er ist
rot geworden

Er lachte so heftig, dass er von der Bank fiel.
Nadia schnaubte und wartete darauf, dass er wenigstens den Anschein von Fassung wiedergewann. Als er sich schließlich mit rotem Gesicht und nach Luft schnappend aufrecht hinsetzte, wenngleich auch auf dem Boden, lehnte sie sich nach vorne und sah ihm in die Augen. »Du solltest nicht über ihn lachen.
Du
kannst ›Mutter‹ und ›Sex‹ nicht einmal im selben Satz sagen.«
Keuchend hob er die Hände und ergab sich. »Nein, kann ich nicht, aber wir reden ja nicht von mir.«
»Du bist ein erwachsener Mann. Du hast Sex gehabt. Ich verstehe nicht, warum du so empfindlich darauf reagierst, wenn andere Leute das Gleiche tun.«
»Können wir wieder über Sebastian und Teaser sprechen? Bitte?«
Sie sah ihm ins Gesicht und lachte - und fühlte, wie sich etwas in ihr verschob, spürte, wie ihr Herz sein Gleichgewicht wiederfand.
Als ihr Lachen verstummte, seufzte sie. »Sie ist wirklich ein Wächter des Herzens, habe ich Recht?«
Lee wurde ernst. »Eine derer, die mit dem Herzen sehen. Ja, das ist sie. Sie ist es schon immer.«
»Ich weiß. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es andere wie sie gibt, irgendwo in der Welt hinter den Landschaften, die wir kennen. Aber selbst wenn es andere gibt, ist Glorianna diejenige, die hier ist - und der Weltenfresser wird alles tun, was in seiner Macht steht, um sie zu vernichten.«
Lee reichte ihr seine Hand. Sie ergriff sie, freute sich über die Wärme und die Berührung, während sie an ihre Tochter dachte, die das Schicksal Ephemeras in den Händen hielt.
Lange Zeit saßen sie schweigend so da.
 
Koltak stolperte, obwohl es nichts gab, gegen das sein Fuß hätte stoßen können. Dann bemerkte er, dass das endlose Grasland sich in einen Schotterweg verwandelt hatte. Die Luft fühlte sich anders an - wärmer, trockener -, und er konnte das Geräusch von Wellen hören, die an den Strand rollten.
Er hatte keine Resonanz einer Brücke gespürt, aber er war so müde, dass er sie vielleicht nicht wahrgenommen hatte. Wahrscheinlich hatte er eher eine Grenzlinie zwischen zwei ähnlichen Landschaften überschritten, als eine Grenze, die eine Brücke erfordert hätte. Trotzdem, eine Straße würde an ein Ziel führen, also folgte er ihr, bis er an ein Cottage kam.
Das Haus sah aus, als sei es von Menschenhand errichtet worden. Er könnte an die Tür klopfen und um Essen und Unterkunft bitten.
Natürlich bedeutete, dass das Cottage von Menschen
erbaut war, noch lange nicht, dass auch seine Bewohner menschlich waren.
Er zögerte und folgte dann weiter dem Weg. Wenn es ein Haus gab, würde es auch andere geben. Vielleicht sogar ein Dorf.
Er konnte nicht sagen, wie lange er gelaufen war, bis er die farbigen Lichter erblickte. Sein Herz hob sich. War er endlich am Ziel seiner Reise angekommen?
Hoffnung kämpfte gegen Erschöpfung und trug so lange den Sieg davon, dass er es schaffte, den Beginn einer Kopfsteinpflasterstraße zu erreichen, die er vor Jahren schon einmal gesehen hatte.
Fest entschlossen, die Reise zu Ende zu bringen, lief Koltak die Hauptstraße des Sündenpfuhls entlang.
 
Der Weltenfresser ist eingeschlossen und kann keine anderen Teile Ephemeras mehr berühren, außer den Landschaften, die Er geformt hat. Und auch sie sind aus der Welt genommen worden. Aber die Wächter der Dunkelheit, die den Weltenfresser geschaffen haben, die sich an Seiner Zerstörung der Welt erfreut haben, sind noch immer dort draußen in den Landschaften. Irgendwo.
Sie sind schlau. Und sie sind grausam.
Sie nähren die dunklen Begierden des Herzens. Man sagt, sie seien in der Lage in einen Geist zu schlüpfen, um ihm Dinge einzuflüstern, die ein Herz dazu bringen, sich vom Licht abzuwenden.
Ja,
sagen sie,
es ist nicht gerecht, dass du arm bist und dir dies hübsche Schmuckstück nicht leisten kannst. Du verdienst es, dieses Schmuckstück zu besitzen. Wenn du es nimmst … Der Händler ist reich. Was bedeutet ihm der Verlust von ein paar Münzen?
Ja,
flüstern sie,
du hast recht, zornig zu sein. Es war grausam von ihr, dein Herz zu brechen. Sie verdient es, deine Faust zu spüren … dies Messer … diese Axt.
Sie nähren die dunklen Gefühle der Herzen und helfen ihnen, zu wachsen.
Aber das Schlimmste, das sie tun können, ist die Wahrheit zu benutzen, um etwas Gutes zu vernichten, die Wahrheit als Lüge einzusetzen, um das Licht in einem Menschen - oder sogar in einer Landschaft - zu schwächen.
Niemand ist gefeit vor den Wächtern der Dunkelheit. Nicht einmal die Landschafferinnen. Also hüte dich. Wenn jemand versucht, dich zu überreden, dich von etwas abzuwenden, von dem du weißt, dass es recht ist, um eine noch bessere Tat zu vollbringen … so ist es manchmal wirklich die Wahrheit und die richtige Entscheidung.
Und manchmal ist es eine Lüge.
 
-
Die Ersten Lehren
Kapitel Einundzwanzig
Sebastian und Teaser standen am Rande von Philos Innenhof und betrachteten die Gäste. Sebastian war allerdings hauptsächlich darauf konzentriert, Lynnea dabei zu beobachten, wie sie Bestellungen aufnahm und Tische abräumte.
»Ist es Liebe«, überlegte er, »wenn es dich glücklicher macht, dass eine bestimmte Frau sich darüber beklagt, dass du das gesamte Bett für dich beanspruchst, als wenn ein Dutzend Frauen dich mit den Augen ausziehen?«
»Frag mich nicht«, beschwerte sich Teaser. »Ich bin nicht derjenige, der jede Nacht seufzt und stöhnt.«
»Lynnea seufzt und stöhnt nicht.« Jedenfalls nicht so laut, dass man sie im Nebenzimmer hören konnte.
»Ich habe auch nicht von Lynnea gesprochen.« Teaser warf Sebastian einen langen Blick zu, um seinen Standpunkt deutlich zu machen, dann sah er ihn noch einmal von oben bis unten an. »Du machst dich schick in letzter Zeit. So bist du schon eine ganze Weile nicht mehr herumgelaufen.«
Sebastian lächelte. »Ich habe allen Grund dazu - und ich will nicht, dass sie das vergisst.«
Oh ja. Obwohl er ein Inkubus mit nur einer Frau und der Rechtsbringer des Pfuhls war, kleidete er sich in letzter Zeit sehr sexy. Enge schwarze Jeans und eine schwarze Jacke aus dem gleichen Stoff, ein grünes Hemd, um die Farbe seiner Augen hervorzuheben, und ein Kettenanhänger - ein flacher grüner Stein an einer Goldkette,
die Glorianna ihm vor Jahren geschenkt und die er hinten in einer Schublade seiner Kommode gefunden hatte, als er sie nach etwas Interessantem durchstöberte, das die Aufmerksamkeit einer Frau auf sich ziehen würde. Er war sich nicht sicher, ob es etwas mit dem Stein zu tun hatte, oder damit, dass er ihn trug, aber Lynnea …
»Wenn du weiter an das denkst, woran du gerade denkst, hast du gleich in aller Öffentlichkeit einen stehen«, sagte Teaser ungerührt.
»Das ist geschmacklos.«
»Ich sag ja bloß, wie es ist. Und da wir alle wissen, wer dich zur Zeit so erregt -«
»Warum bist du nicht auf Streifzug?«
Teaser verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Weil sich das letzte Mal, als ich eine attraktive Frau gesehen habe, an der ich gern herumgeknabbert hätte, herausgestellt hat, dass sie deine Tante ist.«
»Ich versuche, das zu vergessen.«
»Ich auch.«
»Versuch es härter.«
Teaser seufzte und wollte sich der Straße zuwenden. »In Ordnung. Ich ziehe ein bisschen herum und - Tageslicht! Was macht einer von
denen
hier?«
Sebastian folgte seinem Blick und fühlte, wie ihn im selben Moment heiße Wut und der kalte Schauer der Angst packten. »Sprich mit den Bullendämonen«, sagte er leise, während er dabei zusah, wie der Zauberer die Straße entlangstolperte. »Sag ihnen, sie sollen auf Lynnea aufpassen und sie beschützen.«
»Wirst du ungemütlich, wenn sie anfangen, Leute aufzuspießen oder Schädel einzuschlagen?«
»Nein.«
»Gut.« Teaser sah Sebastian an. »Er kann genauso Blitze heraufbeschwören. Denk daran. Wenn es drauf ankommt, musst du derjenige sein, der noch steht, wenn es vorüber ist.«
»Mach dir keine Sorgen«, knurrte Sebastian. »Das werde ich.«
Er schritt die Straße hinauf, wusste, dass der Zauberer ihn in dem Moment erkannte, in dem er begann, sich zu bewegen - und das war mehr, als er von sich behaupten konnte. Am Gang hätte er den Zauberer nicht erkannt. Noch nie hatte er Koltak so schmutzig und erschöpft gesehen. Offensichtlich war seine Reise in den Pfuhl lang und beschwerlich gewesen.
Aber Koltak hätte nicht in der Lage sein dürfen, den Pfuhl überhaupt zu erreichen. Darüber musste Sebastian bei nächster Gelegenheit mit Lee sprechen. Wenn Koltak es geschafft hatte, einen Weg in den Pfuhl zu finden, was konnte dann mittlerweile noch durch Gloriannas Landschaften streifen?
Er blieb stehen und wartete, bis der Zauberer sich ihm bis auf eine Körperlänge genähert hatte. »Du bist hier nicht willkommen.«
»Sebastian«, keuchte Koltak. »Gefahr droht. Schreckliche Gefahr. Wir brauchen deine Hilfe. Du musst mich anhören.«
»So, wie du mich angehört hast, als ich dich um Hilfe gebeten habe? Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist. Von uns hast du nichts zu erwarten.«
»Du musst mich anhören.« Koltak wollte die Hand heben, vielleicht um zu flehen, vielleicht aus einem anderen Grund.
Sebastian wartete nicht ab, bis er es herausfand. Seine Hand schoss nach oben. Knisternd durchströmte ihn die Macht, ballte sich in seinen Fingerspitzen, wartete darauf, losgelassen zu werden.
Koltak starrte die Hand an und ließ dann seine eigene langsam sinken. »So. Die Macht in dir ist erwacht. Du bist ein Zauberer.«
»Ein Rechtsbringer«, fauchte Sebastian. »Ich erwarte nicht von dir, dass du den Unterschied verstehst.«
»Das tue ich aber«, rief Koltak. »Das tue ich! Ich -« Er schwankte. »Sebastian, wenn noch irgendetwas Menschliches in dir steckt, zeig ein wenig Mitleid.«
»Komm mir nicht damit, alter Mann. Du hast immer gesagt, in mir sei nichts Menschliches. Du wolltest nie ein menschliches Wesen in mir sehen. Und jetzt -«
»Glaubst du, mir fällt das leicht?«, knurrte Koltak, jetzt wieder mit dem vertrauten, zornigen Gift in der Stimme. »Denkst du, ich krieche gerne vor dir, damit du mir hilfst? Glaubst du, ich bin
gerne
hier? Aber ich bin bereit, unsere Differenzen zu bereinigen, um Ephemera zu retten. Bist du
Rechtsbringer
genug, um das Gleiche zu tun? Oder lässt du zu, dass alles vernichtet wird, nur um mir zu zeigen, was du von mir hältst?«
Um Ephemera zu retten. Was für ihn bedeutete, Gloriannas und Nadias Landschaften zu retten. Was bedeutete, den Pfuhl zu retten, den Ort, den zu schützen er versprochen hatte. Was ebenso bedeutete, Lynnea zu beschützen.
»Komm mit«, sagte Sebastian. »Wir besorgen dir etwas zu essen - und ich werde dich anhören.«
Als er Koltak zurück zu Philo führte, ging Sebastian eilig am Rande des Hofes entlang, bis er die Tür zum Innenraum erreichte. Koltak roch schlecht genug, um jedem außer den Bullendämonen die Lust am Essen zu verderben, und so war es ein Akt der Güte, den Mann so schnell wie möglich von Philos Gästen fortzubringen. Er hielt Koltak die Tür auf, atmete noch einmal tief die frische Luft ein und betrat den Raum.
Koltak taumelte zum nächsten Stuhl und brach darauf zusammen.
Mit dem Gedanken, dass ein starker Schnupfen seine Vorteile hatte und dem Wunsch, er möge die kommende Stunde daran leiden, zog Sebastian zögerlich den Stuhl unter der anderen Seite des Tisches hervor und setzte sich.
»Lange Reise?«, fragte Sebastian ungeduldig und machte deutlich, dass die Reise, egal wie lang sie auch gewesen sein mochte, nicht lang genug gewesen war. In den Augen des Zauberers blitzte Ärger auf
»Ja« antwortete Koltak dennoch mit beherrschter Stimme, »es war eine lange Reise.«
Was kann er von mir wollen, dass er sich die Mühe gibt, höflich zu bleiben?
Und warum machten ihn die Worte »eine lange Reise« nervös, als hielte sich etwas Bedeutsames gerade außerhalb der Reichweite seiner Erinnerung?
Die innere Tür schwang auf. Mit einem Tablett bewaffnet betrat Teaser den Raum, stellte zwei dampfende Schüsseln mit Wasser, zwei Handtücher und einen Teller mit zwei Stückchen Seife auf den Tisch, die jemand von einem größeren Stück herunter geschnitten hatte, und ging dann wieder.
Sebastian beäugte die Seifenstücke und hoffte, dass jemand Brandon dazu brachte, das Messer abzuwaschen, bevor der Junge sich wieder dem Schneiden von Fleisch oder Gemüse zuwandte.
»Ist das … üblich?«, fragte Koltak und Verlegenheit färbte seine Wangen.
»Nein«, erwiderte Sebastian seelenruhig, während er nach einem Stück Seife griff. »Aber wenn es angeboten wird, nimmt man es dankend an.« Er wusch sich die Hände, trocknete sie ab, stellte alles zur Seite und lächelte seinen Vater herausfordernd an.

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