Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (35 page)

Kapitel Dreizehn
Im dem Augenblick, in dem Sebastian die Hintertür öffnete und in seine Küche trat, ergriff ihn ein ungutes Gefühl. Er streckte eine Hand nach hinten aus, um Lynnea aufzuhalten und blieb still stehen, um zu lauschen. Ein rhythmisches
Pling … Pling
kam aus dem Innern des Cottages, aber das war kein ungewöhnliches Geräusch. Was ihn nervös machte, war der moschusartige Geruch. Es roch nicht schlecht. Auf seine ganz eigene Art und Weise verlockend. Verführerisch sogar. Aber nicht vertraut. Kein Geruch, der in sein Haus gehörte.
Vorsichtig ging er hinüber zu dem kleinen Tisch, fand die Streichholzschachtel und zündete die Öllampe an.
In der Küche war nichts durcheinander, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass jemand die Dinge angehoben und dann nur ungefähr an ihren angestammten Platz gestellt hatte.
Er legte einen Finger an die Lippen, dann krümmte er ihn, um Lynnea zu bedeuten, sie solle nachkommen. Als sie ihn erreichte, legte er eine Hand um ihren Hinterkopf und beugte sich vor, bis er mit dem Mund ihr Ohr berührte.
»Ich glaube, jemand ist im Cottage gewesen. Ich muss mich umsehen. Wenn ich dir sage, dass du rennen sollst, machst du, dass du hier herauskommst und läufst den Weg wieder zurück. Konzentriere dich darauf, Nadia zu erreichen. Denk an nichts, außer an Nadia. Hast du mich verstanden?« Er wartete, bis sie nickte, bevor er zurücktrat.
Als er sich von ihr löste, strich er sanft mit den Lippen über ihre Wange.
Nachdem er das größte Küchenmesser aus dem Holzblock genommen hatte, schlich er in den Wohnraum.
Pling … Pling.
Die Lampe in der Küche bot nicht viel Licht, aber es reichte aus, um die Konturen der Möbel zu erkennen. Am Tisch vor der Couch hielt er an und entzündete eine weitere Lampe.
Da war nichts, was nicht hierher gehörte.
Er war sich nicht sicher, ob er etwas hören könnte, so laut, wie sein Herz schlug, aber mit der Lampe in der einen und dem Messer in der anderen Hand näherte er sich dem Schlafzimmer.
Auch hier sah nichts ungewöhnlich aus, bis auf …
Das Bett war ordentlich gemacht - genau so, wie Lynnea es hinterlassen hatte, bevor sie sich auf den Weg zur Schule der Landschafferinnen gemacht hatten. Aber das Schlafzimmer war erfüllt von diesem moschusartigen Geruch, und die Matratze war in der Mitte eingedrückt, als hätte jemand darauf gelegen.
Als er das Bett anstarrte, ergriff ihn ein seltsames Gefühl, so als ob etwas in seinem Innern den Eindringling erkannte. Etwas, das in seinem Instinkt verwurzelt war, in Fleisch und Blut anstatt in seinem Intellekt.
Eines wusste er mit absoluter Sicherheit: Er wollte nicht, dass Lynnea sich diesem Bett auch nur näherte.
Pling

Pling.
Er folgte dem Geräusch ins Badezimmer und sah den Wassertropfen zu, wie sie ins Waschbecken fielen. Nach einem langen Augenblick stellte er die Lampe ab und drehte den Hahn zu, damit das Tropfen aufhörte.
Der kleine Ofen, der den Wassertank erhitzte, war kalt, so wie es sein sollte. Nichts war in Unordnung. Und trotzdem...
Wir können hier nicht bleiben.
Das Cottage lag nicht
ganz eine Meile von den Straßen entfernt, die den Pfuhl ausmachten. Weit genug, um den Abstand zu gewährleisten, den er brauchte, aber trotzdem nur ein kurzer Spaziergang. Jetzt belastete ihn der Gedanke an die Abgeschiedenheit. Sie waren allein hier draußen, zu weit entfernt von jeglicher Hilfe.
Nur für sich wäre er das Risiko vielleicht eingegangen, aber Lynneas Sicherheit würde er nicht aufs Spiel setzen.
Als er aus dem Schlafzimmer trat, sah er Lynnea im Türrahmen zwischen Küche und Wohnzimmer stehen. Sie zitterte, hielt aber ein Messer in der Hand.
»Was ist los?«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf, überprüfte die anderen Räume im Erdgeschoss und stieg dann die Treppe hoch, um sich in den leer stehenden Räumen des ersten Stocks umzusehen. Hier gab es weitere Schlafzimmer, aber er hatte den Platz nicht gebraucht und so hatte er nichts mit den Räumen getan, außer den Boden zu fegen und zweimal im Jahr die Fenster zu putzen.
Er eilte die Treppe hinunter und sagte: »Was immer es war, es ist nicht mehr hier.« Er hielt inne. »Aber wir können nicht hierbleiben.«
»Hast du einen Korb? Ich kann das Essen, das Nadia uns mitgegeben hat, einpacken. Die Reisetasche, die wir uns geliehen haben, kannst du für deine Kleider benutzen.«
»In einem der Schränke steht ein Korb. Ich -« Als sein Blick auf die Wand fiel, verspürte er einen Stich in der Brust, der so wehtat, dass er nach Luft schnappen musste.
Seine gerahmten Zeichnungen. Es wäre schmerzlich, das Cottage aufzugeben und nie mehr hierher zurückzukehren. Er würde das Haus vermissen und die Heimat, die er hier gefunden hatte, aber die Skizzen waren Teil seines Selbst.
»Du musst sie mitnehmen«, sagte Lynnea.
Ihre Worte wirkten wie Balsam, rissen aber dennoch blutige Wunden in sein Herz. »Das geht nicht. Mehr können wir nicht tragen.«
»Du kannst sie nicht hier lassen, wenn du nicht weißt, was mit ihnen geschehen wird.«
»Wir können sie nicht tragen!«
Ihr Gesichtsausdruck erinnerte ihn an den eines besonders störrischen Bullendämons.
»Wir nehmen sie mit.«
Ihm blutete ohnehin schon das Herz, und ihr verbissener Gesichtsausdruck in Verbindung mit ihrem entschlossenen Ton weckte in ihm den Wunsch, laut zu schreien.
Sie schnaubte. »Hast du keinen Handkarren?«
»Nein, ich habe keinen Handkarre«, erwiderte er und ahmte ihren Tonfall nach.
»Und wie holst du dann Feuerholz oder erledigst andere schwere Arbeiten?«
»Ich habe -« Er hielt inne. Dachte nach. »Hinten im Schuppen steht eine Schubkarre.« Sie könnten sie beladen, und er könnte sie hinter sich herziehen.
»Gut«, sagte Lynnea. »Du holst die Schubkarre, und ich suche etwas, worin wir die Skizzen einwickeln können.«
Sie ging in die Küche, kam dann mit der Lampe wieder zurück und lief ins Schlafzimmer.
»Nimm nicht die Bettwäsche«, sagte Sebastian.
Der Blick, den sie ihm zuwarf, war stechend genug, um mehr als eine Schicht Haut zu durchdringen.
»Tageslicht«, murmelte er, als er nach draußen zum Schuppen lief. Frauen ließen sich wesentlich einfacher handhaben, wenn das Geben und Nehmen nur Sex beinhaltete.
Als er die Schubkarre aus dem Schuppen gezogen hatte und zum Cottage zurückgekehrt war, hatte sie die Skizzen bereits von der Wand genommen und in ein
Tuch gewickelt. Das Paket erschien ihm ein wenig unförmig, aber er hatte nicht vor, etwas zu sagen, das ihre Laune noch weiter verschlechtern würde, also nahm er einfach das Essen aus der Reisetasche, die Nadia ihm gegeben hatte, und ging ins Schlafzimmer, um so viel Kleidung einzupacken, wie er in die Tasche hinein bekam.
Als er mit dem Gepäck in die Küche zurückkehrte, stellte er fest, dass sie das Essen zusammen mit dem Kaffeetopf, der Mühle, zwei Tassen und der Tüte Kaffeebohnen in den Korb gelegt hatte.
»So groß ist die Schubkarre nun auch wieder nicht«, murrte er.
Sie schnaubte nur.
Das Gewicht des Korbes ließ ihn überrascht aufkeuchen, als er ihn vom Tisch hob, und er war dankbar, dass er ihn nicht den ganzen Weg in den Pfuhl tragen musste.
Nicht, dass er ihr das sagen würde.
Es bedurfte einigen Hin- und Herschiebens, aber er schaffte es, die Reisetasche, den Korb und Lynneas Bündel in die Schubkarre zu packen. Somit blieben die Skizzen, die unsicher auf dem Haufen balanciert werden mussten.
Lynnea kam zur Küchentür und hielt das unförmige Paket fest umschlungen.
»Komm«, sagte er und griff danach. »Ich -«
»Nein!«, sie wandte sich ab, um seinen Versuch, die Skizzen zu nehmen, abzublocken. »In der Schubkarre könnten sie beschädigt werden. Ich trage sie.«
»Sei nicht albern«, fuhr er sie an und griff noch einmal nach dem Paket.
»Nein! Ich werde sie tragen.«
»Bitte, wie du willst. Aber fang nicht an zu jammern, wenn dir die Arme wehtun.«
Ihre Unterlippe bebte, und er dachte schon, sie würde
aufgeben. Dann straffte sie sich wieder und warf ihm noch einen durchbohrenden Blick zu.
Warum konnte sie nicht für eine Weile wieder ein Häschen sein? »Könntest du mir wenigstens aus dem Weg gehen, damit ich die Lampen ausmachen kann?«
Er wartete, bis sie neben der Schubkarre stand, bevor er in die Küche ging. Er löschte die Lampen und stand dann im Dunkeln.
»Ich komme zurück«, flüsterte er. »Wenn wir beide noch stehen, wenn der Kampf vorüber ist, komme ich zurück.«
Dann verließ er das Cottage, verschloss die Tür, hob die Griffe der Schubkarre an und ging mit schweren Schritten und Lynnea an seiner Seite die Schotterstraße zum Pfuhl entlang.
 
Als sie die Lichter des Pfuhls erblickten, schmerzten Lynneas Arme bereits. Die gerahmten Skizzen wären über jede Entfernung eine unbequeme Last gewesen, aber die anderen Sachen, die sie in das Tuch gewickelt hatte, lie ßen das Paket so unförmig werden, dass es ihr unmöglich war, die Position ihrer Arme zu verändern.
Aber sie weigerte sich, Sebastian ihre Verfassung sehen zu lassen. Er würde mit ihr streiten und sagen, sie solle das Bündel zurücklassen, vielleicht versprechen, zurückzukehren, um es zu holen, nachdem sie sich in seinem Zimmer im Bordell eingerichtet hätten. Vielleicht wäre er wirklich zurückgegangen, und vielleicht wären die Zeichnungen auch noch da gewesen, wenn er kam, aber etwas so Wichtiges würde sie keinem »Vielleicht« überlassen.
Dachte er, sie hätte nicht gesehen, wie schmerzlich der Gedanke, die Skizzen zurückzulassen, für ihn gewesen war? Sie waren mehr als nur Bleistiftstriche auf Papier. Er hätte einen Teil seines Herzens loslassen müssen - und er hätte ihn vielleicht niemals zurückbekommen.
Also hielt sie das Kinn nach oben gereckt, ignorierte die Blicke, die Sebastian ihr zuwarf und wiederholte ein ums andere Mal: Ich bin eine Löwin.
Bis zu dem Tag, an dem Vater versucht hatte, sie zum Sex zu zwingen, hatte sie noch nie einem Befehl getrotzt, weil sie es nicht gewagt hätte, sich zu widersetzen. Aber jetzt trotzte sie Sebastian, einem Mann, der sowohl wunderschöne, als auch Furcht einflößende Gefühle in ihr weckte, weil sie tief in ihrem Herzen wusste, dass sie das Richtige tat.
Seltsam, wie sich das Innerste einer Person in so kurzer Zeit ändern konnte.
Einen Augenblick, nachdem sie die Hauptstraße des Pfuhls erreicht hatten, rief jemand: »Sebastian!« Und ein glücklicher und erleichterter Teaser lief mit großen Schritten auf sie zu - bis er sie erblickte. Dann kam er schlitternd zum Stehen.
»Wir treffen uns bei Philo, sobald ich Lynnea in unser Zimmer gebracht habe«, sagte Sebastian.
Teaser warf ihr einen Blick zu. »Aber … ich dachte -«
»Die Dinge haben sich verändert«, meinte Sebastian mit Schärfe in der Stimme.
Etwas blitzte in Teasers Augen auf - Nervosität? Zweifel? -, war aber schon wieder verschwunden, bevor Lynnea das Gefühl benennen konnte.
»Aha«, sagte Teaser nur. »Hast du deinen Zimmerschlüssel?«
Sebastian nickte. »Aber am Empfang liegt noch einer.«
»Den habe ich genommen.« Teaser zuckte mit den Schultern. »Hab meine Zimmertür abgeschlossen. Deine auch. Wenn du etwas in den Kühlapparat legen willst, kannst du durch das Bad in mein Zimmer gehen.«
Sebastian warf Teaser einen langen Blick zu und nickte dann erneut.
Nachdem er ihnen ein zögerliches Lächeln zugeworfen hatte, lief Teaser die Hauptstraße hinunter. Jetzt, da
sie fast den Ort erreicht hatten, an dem sie es ablegen konnte, wog das Paket in Lynneas Armen mit jedem Schritt mehr.
Als sie am Bordell ankamen, schulterte Sebastian das Gepäck und öffnete ihr die Tür, bevor er die Reisetasche und den Korb hineinwuchtete.
Der Mann am Empfang beobachtete sie einfach nur, als sie den Eingangsraum durchquerten und die Treppe hinaufstiegen.
»Schließt ihr eure Türen normalerweise nicht ab?«, fragte Lynnea, während sie zusah, wie Sebastian den Schlüssel aus seiner Tasche fischte und im Schloss herumdrehte.
»Um ungestört zu sein schon, aber nicht, um jemanden davon abzuhalten, das Zimmer zu betreten, wenn ich nicht da bin.«
Sobald er die Tür aufgestoßen hatte, eilte sie zum Bett und legte mit einem unterdrückten Stöhnen ihr Paket ab. Dann drehte sie sich um, um ihn anzusehen und hoffte, dass ihr Lächeln echt wirkte.
Er stand im Türrahmen und starrte sie an. Dann trug er ihre Taschen und den Korb so weit in den Raum, dass er die Tür schließen konnte.
»Du musst mit Teaser und Philo sprechen«, sagte sie, und die Art, wie er sie mit seinen grünen Augen anblickte, machte sie immer nervöser. »Wenn du mir einfach sagst, was ein Kühlapparat ist, so dass ich mir keine Dinge anschaue, die ich nicht sehen sollte, kann ich die Sachen hier einräumen.« Vor allem die Sachen, von denen sie noch nicht wollte, dass er sie entdeckte.
Er trat ans Bett und schob sie sanft aber bestimmt zur Seite.
»Sebastian.«
Er schlug das Tuch auf... und sagte nichts. Ihr Herz schlug heftig, als er mit den Fingern über die Holzkiste
und die lederne Mappe strich, die das Zeichenpapier enthielt.
Er öffnete die Kiste, dann schloss er sie wieder.
»Meine Cousine und ihr Bruder haben mir diese Kiste vor ein paar Jahren geschenkt. Zeichenkohle und Bleistifte in verschiedenen Stärken. Die farbige Kreide habe ich von Tante Nadia bekommen.« Seine Finger berührten die Ledermappe. »Solches Papier bekommt man nicht im Pfuhl. Nicht einmal auf dem Schwarzmarkt. Tante Nadia oder Lee haben es mir immer aus einer der großen Städte mitgebracht, aber ob dieser Ort noch erreichbar ist, weiß ich nicht.«
Er blickte sie an, und in seinen Augen konnte sie erkennen, wie er darum kämpfte, nicht von der Flut seiner Gefühle überwältigt zu werden. Selbst der kleine Teil, den seine Selbstkontrolle nicht zurückhalten konnte, raubte ihr den Atem.
»Danke«, sagte er, mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war. Er berührte mit den Lippen leicht ihre Stirn, ihre Wange, ihren Mund. »Danke.«

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