Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (33 page)

 
»So«, sagte Nadia und hielt den Wellensittich mit beiden Händen fest. »Es wird Zeit, dass er wieder in seinen Käfig geht.«
»Oh«, meinte Lynnea. Es war leichter gewesen, Nadia von ihrem Leben bei Mutter, Vater und Ewan zu erzählen,
während sie den Vogel anschaute. Viel leichter, zuzugeben, was Vater versucht hatte und wie man sie dann fortschicken wollte. Als sie Nadia von dem Wasser und dem Sand erzählte, hatten die Hände der älteren Frau gezittert. Doch erst, als sie über Sebastian sprach und über die Stunden, in denen er sie zur Löwin gemacht hatte, geriet ihre Stimme ins Stocken.
Aber selbst Sebastian versuchte, sie fortzuschicken. Er wollte, dass sie in den Heiligen Stätten blieb. Er hatte nicht mit ihr gestritten, als sie ihm gesagt hatte, sie wolle ihn zum Haus seiner Tante begleiten, aber er hatte deutlich gemacht, dass er nicht wollte, dass sie mit ihm in den Pfuhl zurückkehrte.
»Nun ja«, sagte Nadia als sie zum Tisch zurückkehrte, »die Frage ist: Was willst du, Lynnea?«
Ich will Sebastian.
»Ich verstehe nicht.«
»Du bist frei von dem Leben, das du geführt hast. Du hast die Möglichkeit, neu anzufangen. Wo würdest du gerne hingehen?«
»Ich möchte zurück in den Pfuhl.« Darüber musste sie nicht nachdenken. Es war ein dunkler Ort, ein seltsamer Ort, aber sie fühlte sich dort sicher. »Aber Sebastian will nicht -«
»Schätzchen, natürlich will Sebastian. Deswegen ist er vollkommen verwirrt, was dich betrifft.« Nadia lächelte. »Verstehst du denn nicht? Wenn du nicht mehr wärst als eine Frau, die seinen Körper erregt, wäre er mittlerweile längst dein Liebhaber.«
»Aber er weiß, dass ich nicht... dass ich noch nicht...«
»Er ist ein Inkubus. Das hätte ihm rein gar nichts ausgemacht. Aber du hast mehr getan, als seinen Körper zu reizen, Lynnea. Du hast sein Herz berührt, und das ist etwas, von dem ich schon lange hoffe, dass es ihm widerfährt.« Nadia tätschelte Lynneas Hand. »Für dich ist das frustrierend, ich weiß, und für ihn ist es wahrscheinlich doppelt so schlimm.«
»Er will trotzdem nicht, dass ich zurück in den Pfuhl gehe.«
»Das ist nicht seine Entscheidung, oder?«
Lynnea blickte Nadia an. Man hatte ihr immer gesagt, wo sie hingehen und was sie tun sollte. »Aber -«
»Dein Leben, deine Reise, deine Entscheidung. Deine Gelegenheit.« Nadia lehnte sich zurück. »Hast du jemals eine Münze in einen Wunschbrunnen geworfen?«
»Einmal. Nur einen Pfennig.«
»Der Wert spielt keine Rolle«, sagte Nadia. »Sondern nur, ob der Wunsch aus tiefstem Herzen stammt oder nicht.«
»Aber es ist nichts passiert.«
»Oh? Und wie genau, denkst du, funktioniert ein Wunschbrunnen?«
»Man nimmt eine Münze, wünscht sich etwas, wirft die Münze den Wächtern zur Ehre in den Brunnen. Und dann, wenn man es verdient hat, geht der Wunsch in Erfüllung.«
Nadia seufzte. »Ja, ich denke, so stellen es sich wohl die meisten Menschen vor. So funktioniert es auch wirklich. Man wünscht sich etwas und wirft eine Münze in den Brunnen, um zu zeigen, dass man die Absicht hat, in seinem Leben etwas zu erreichen. Und was macht man dann?«
Lynnea schüttelte den Kopf, um zu sagen, dass sie es nicht wüsste.
In Nadias Stimme mischte sich die Schärfe der Ungeduld. »Man krempelt die Ärmel hoch und arbeitet daran, dass es Wirklichkeit wird.«
»Aber ich weiß nicht, wie ich es Wirklichkeit werden lassen soll!«
»Gelegenheit und Entscheidung, Lynnea. Was das Herz wirklich begehrt, kommt nicht über Nacht, und es kommt auch nicht immer so, wie du es dir vorgestellt hast.«
Lynnea biss auf ihrem Daumennagel herum. »Vielleicht könnte ich im Pfuhl Arbeit finden. Vielleicht könnte ich für Philo arbeiten. Ich kann kochen und backen. Ich kann putzen und Geschirr spülen. Ich müsste nur einen Ort finden, an dem ich wohnen kann.«
»Ich glaube nicht, dass das ein Problem sein wird«, sagte Nadia trocken. Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Ich ziehe wohl besser mal etwas unter dieses Kleid, bevor ich meinen Neffen in noch größeres Entsetzen stürze, als ich es ohnehin schon getan habe. Dann, denke ich, ist es an der Zeit, herauszufinden, warum Sebastian hierher gekommen ist.«
 
Dank allen Bewahrern des Lichts, dachte Sebastian, als er Nadia und Lynnea aus dem Haus gehen sah. Nadia hatte etwas unter ihr Kleid gezogen. Er hatte bereits mehr von seiner Tante gesehen, als ihm lieb war.
»Jeb?«, rief Nadia. »Warum zeigst du Lynnea nicht die Blumengärten?« Nachdem sie Lynnea einen freundschaftlichen Schubs gegeben hatte, lief sie in eine andere Richtung, auf den hinteren Teil ihres persönlichen Gartens zu.
In der Annahme, das sei sein Stichwort, um mit Nadia unter vier Augen zu sprechen, stellte er die Gießkanne ab und folgte seiner Tante. Er holte sie ein, als sie am Brunnen stehen blieb und die Stirn runzelte.
»Die Statue ist weg«, sagte sie. Ihre Stimme klang verärgert, aber nicht übermäßig besorgt.
»Statue?«
»Die Statue, die ihr drei mir vor ein paar Jahren zum Geburtstag geschenkt habt. Sie ist weg.«
Da er mit Nadia und Glorianna verwandt war, wusste er mehr darüber, wie die Magie der Landschafferinnen funktionierte als die meisten Menschen. Sein Herz raste, als ihm viel zu viele entsetzliche Möglichkeiten durch den Kopf gingen. »Jemand hat sie gestohlen?«
»›Gestohlen‹ ist ein hartes Wort, schließlich hat Glorianna sie mitgenommen. Ich habe ihr gesagt, es sei nicht notwendig, aber ich glaube, sie wird die Landschaften verändern, um Aurora und alle meine anderen Landschaften in ihren Garten einzufügen.«
Sein Herz raste noch immer, aber Erleichterung durchfuhr ihn mit solcher Stärke, dass er zu zittern begann. »Gut. Das ist gut.«
»Das ist nicht gut. Sie hat genug, mit dem sie fertig werden muss, ohne dass sie sich noch mehr aufbürdet.«
»Tante Nadia. Es gibt etwas, das ich dir erzählen muss.«
Nadia starrte auf den Brunnen. »Der Weltenfresser jagt wieder in den Landschaften. Ich weiß, Sebastian. Glorianna hat mich bereits gewarnt.«
»Weiß sie von der Schule?«
Mit gerunzelter Stirn blickte Nadia ihn an. »Was ist mit der Schule?«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern, um stillen Trost zu spenden. »Der Weltenfresser hat die Schule übernommen. Es wimmelt dort von seinen Kreaturen.« Selbst durch den dünnen Stoff fühlte er, wie ihre Haut unter seinen Händen kalt wurde, als sie erblasste. »Die Landschafferinnen sind tot, Tante Nadia. Die Brückenbauer sind tot. Alle, die in der Schule waren -«
»Lee?«
»Wir haben ihn in den Heiligen Stätten getroffen. Er weiß Bescheid. Er sagte, er würde die Brücken abreißen, die Gloriannas Landschaften mit den anderen verbinden.«
Nadia sank zu Boden. Sebastian ließ sich mit ihr auf die Knie fallen und hielt sie aufrecht, als sie zu schwanken begann.
»Tante Nadia?«, fragte er scharf. Es würde ihm nicht gefallen, wenn sie in Ohnmacht fiel, aber damit würde er fertig werden. Was ihn an den Rand der Panik versetzte,
war der Gedanke, dass er sie so entsetzt hatte, dass sie eine Art Anfall erleiden könnte.
»Wir sind die Einzigen, die noch am Leben sind?«, flüsterte Nadia. »Glorianna und ich sind die einzigen Landschafferinnen, die noch am Leben sind?«
Sebastian strich ihr über die Arme. »Vielleicht nicht. Viele Landschafferinnen waren wahrscheinlich auf Reisen, um nach ihren Landschaften zu sehen, also -«
»Aber sie wissen es nicht!« Nadia erhob die Stimme.
Aus dem Augenwinkel sah Sebastian, wie Jeb in ihre Richtung blickte und einen Schritt auf sie zu machte. Sah, wie Lynnea ihre Hand ausstreckte und ihn aufhielt.
»Die Landschafferinnen, die nicht dort waren, wissen nichts von der Gefahr.« In Nadias Stimme schwang ungebrochenes Entsetzen mit.
»Wenn der Weltenfresser versucht, eine Seiner bösen Landschaften mit einer Landschaft des Tageslichts zu verbinden, werden die Menschen es bemerken. Die Nachricht wird sich verbreiten, habe ich recht?« Er wusste nicht, warum er versuchte, sie zu überzeugen, schließlich hatte Lee ihm bereits erzählt, was ohne die Landschafferinnen mit Ephemera geschehen könnte. Aber Nadia so verzweifelt zu sehen, ließ ihn sich an alles klammern, was sie beruhigen könnte.
Dann fiel ihm etwas ein. »Selbst wenn die überlebenden Landschafferinnen Brücken benutzen müssen, um zu vermeiden, zur Schule zurückzukehren und selbst wenn der Weltenfresser in einer Landschaft war, kann die Landschafferin, die diesen Teil Ephemeras kontrolliert, ihn wieder zurück -«
»Nein.«
»Glorianna hat es getan«, beharrte Sebastian. »Der Weltenfresser hatte eine Seiner Landschaften mit dem Pfuhl verbunden, und sie hat den Pfuhl verändert, um die Verbindung zu kappen.«
Nadia sah ihn an, die Augen voller Verzweiflung. »Glorianna
ist die einzige Landschafferin, die Landschaften so verändern kann. Die Einzige, die Teile der Welt neu ordnen und sie so zusammenfügen kann, dass sie ein neues Muster ergeben. Sie ist die Einzige, Sebastian.«
Er setzte sich auf die Fersen. »Dann ist sie der einzige wahre Feind, den dieses Monstrum hat, oder?«
»Ja, das ist sie. Und die Landschaften, die sie unter ihrer Obhut hält, werden zu Inseln, miteinander verbunden, aber nicht länger wirklich Teil der Welt. Sie gleichen einer Spiegelung, die man in einem klaren Teich sieht, die aber nicht mehr da ist, wenn man sich umdreht, um sie sich direkt anzusehen.«
Nahrung, Kleidung, Metall, um Werkzeuge herzustellen, Holz als Bau- und Brennstoff. Wie viele dieser Dinge waren in Gloriannas Landschaften vorhanden?
»Verflucht«, sagte Nadia. »Im Moment können wir nichts tun. Also kümmern wir uns am Besten einfach wieder um unser Leben.«
Eilig erhob sich Sebastian und half ihr auf die Füße.
»Tante Nadia, wegen Lynnea …«
»Sie will zurück in den Pfuhl.«
»Nein.«
»Ihr Leben, ihre Reise, ihre Entscheidung.«
»Ich nehme sie nicht mit zurück in den Pfuhl.«
»Dann wird sie wohl ihren eigenen Weg zurück finden müssen.«
Er sollte Lynnea auf der Suche nach einer Brücke, die zurück in den Pfuhl führt, herumirren lassen? Undenkbar. Selbst wenn Nadia sie zu der Brücke begleitete, über die er immer nach seinen Besuchen hier nach Hause zurückgekehrt war, gab es keine Garantie, dass Lynnea auch im Pfuhl ankommen würde.
Er tat sein Bestes, um bedrohlich auszusehen und auch so zu klingen, und sagte: »Wenn ich sie zurück in den Pfuhl bringe, dann werde ich sie auch nehmen.« Diese Botschaft verstand Nadia mit Sicherheit.
»Es ist sowieso an der Zeit, dass du mit dem Zaudern aufhörst und es einfach tust.«
Ihm fiel die Kinnlade hinunter.
Belustigt tätschelte Nadia ihm die Wange und machte sich dann auf den Weg in den Teil des Gartens, in dem Jeb und Lynnea so taten, als bewunderten sie die Blumen.
Er rannte los, um sie einzuholen und packte sie am Arm, damit sie ihren Schritt verlangsamen musste.
»Tante Nadia, ich glaube nicht, dass du verstanden hast -«
»Ich bin eine erwachsene Frau, und ich hatte in meinem Leben genug Liebhaber. Ich weiß genau, was du gemeint hast.«
»Liebhaber?
Liebhaber?«
»Naja, nicht mehr seit Jeb und ich -«
»Hab Mitleid mit mir.«
Nadia lachte. »In Ordnung. Wenn du nicht nach meinem Sexleben fragst, frage ich nicht nach deinem.«
»Im Moment habe ich keins.«
Sie blieben stehen, bevor sie so nahe waren, dass die anderen mithören konnten. »Sag mir eins, Sebastian. Wie lange ist es her, seit du das Tageslicht gesehen hast?«
»Ich … ich weiß nicht. Ein paar Jahre.«
Sei nickte. »Das ist eine lange Zeit. Selbst wenn du zu Besuch kamst, bist du nie aufgetaucht, bevor die Sonne unterging - und du bist nie lange genug geblieben, um sie wieder aufgehen zu sehen.«
Er hatte es nicht gekonnt. Vor allem während des letzten Jahres. Er wollte sie sehen, aber sie war die grausamste Erinnerung an das, was ihm genommen worden war, als er den Landschaften des Tageslichts den Rücken zugekehrt hatte - weil sie das Einzige war, das er an diesen Landschaften wirklich geliebt hatte.
»Vielleicht denkst du mal darüber nach, warum du hier im Tageslicht stehst«, sagte Nadia leise. »Gelegenheit
und Entscheidung, Sebastian. Lynnea ist nicht die Einzige, die auf Reisen ist.«
Er blickte zu seinem kleinen Häschen hinüber, die ihr Kinn in die Höhe reckte, als ob sie sich auf einen Kampf vorbereiten würde.
Du hast es begonnen, dachte er. Du warst derjenige, der ihr für einen Moment gezeigt hat, wie es ist, eine Löwin zu sein.
Er ging zu ihr hinüber.
»Ich gehe zurück in den Pfuhl«, sagte sie, ihre Stimme ängstlich, trotzig und trotzdem fest.
»Ich weiß.« Er glaubte immer noch, dass sie eine schlechte Entscheidung getroffen hatte, aber er war zu glücklich, sie noch eine Weile bei sich zu haben, als dass er noch länger darüber streiten wollte.
 
Er bewegte sich durch die Landschaften, erstickte das flackernde Licht, das Er an Orten fand, die Seinen unbedeutenden Feinden nicht genug Wert gewesen waren, um ihnen mehr als symbolischen Schutz zuzugestehen. Es war so leicht, Ankerpunkte für eine Seiner Landschaften zu schaffen. Ephemera widersetzte sich kaum, als Er diesen Orten Seinen Willen aufzwang. Aber die strahlenden Landschaften, die Orte, die ein solches Festmahl bieten würden, wenn er das Licht vernichtete … Er fand keinen Weg hinein. Egal, wie sehr Er sich durch die Landschaften schlängelte und wand, Er fand keinen Weg hinein. Und diese dunkle Landschaft, dieses köstliche Jagdgebiet. Er konnte die Ränder dieses Ortes wahrnehmen, aber wie sehr er sich auch anstrengte, er konnte die Mauer, die den Sündenpfuhl umgab, nicht durchbrechen.
So viele Gedanken, die sich auf eine einzige Sache konzentrierten, so gewiss, dass diese eine Sache ihre Sicherheit wahren würde.
Sebastian. Sebastian. Sebastian.
Menschen wie Dämonen glaubten an dieses Ding namens
Sebastian, das Ihn vom Pfuhl selbst fernhielt und Ihm, bis auf die zwei Ankerpunkte, die Er bereits in den dunklen Landschaften eingerichtet hatte, die an das Jagdgebiet grenzten, jeden Zutritt verwehrte.

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