Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (19 page)

Teaser neigte den Kopf und musterte sie. »Huh. Schau dir das an. Eine Landmaus frisch vom Bauernhof.«
Eher ein kleines Häschen, das auf der Flucht in ein Wolfsrudel geraten ist.
Bei diesem Gedanken lief Sebastian das Wasser im Mund zusammen.
Nachdenklich neigte Teaser den Kopf zur anderen Seite. »Vielleicht doch nicht ganz so frisch. Wenn sie riecht, wie sie aussieht, werden noch nicht einmal die Inkuben eine Kostprobe haben wollen, bevor sie sich gewaschen hat. Ich schätze, ich werde einfach -«
Sebastian ließ einen Arm zur Seite schnellen und versperrte Teaser den Weg. »Meine Beute.«
»Auf dem Weg hierher hast du gesagt, du wolltest jemanden mit mehr Pfiff, mit mehr Biss. Mit der kriegst du von beidem nicht viel.«
»Sie gehört mir.«
Er näherte sich ihr langsam, stolzierte eher, als dass er ging, und gab ihr Zeit, auf ihn aufmerksam zu werden. Sie sah zurück in die Gasse, dann wieder zu ihm und konnte sich nicht entscheiden, ob es sicherer war, zu bleiben oder zu fliehen. Sie wollte nicht in die dunkle, stinkende Gasse zurück, aber wenn sie blieb, würde sie ihm in die Hände fallen. Bleiben oder fliehen?
Armes, dummes kleines Häschen. Sie hatte noch nicht begriffen, dass die Entscheidung bereits gefallen war.
Er lächelte sie an - und legte sein ganzes Herz in dieses Lächeln.
Sie erwiderte sein Lächeln nicht. Sie starrte ihn nur an, als ob er der schrecklichste Dämon wäre, den sie je gesehen hatte.
Was wahrscheinlich der Wahrheit entsprach.
»Bist du zum ersten Mal hier?«, fragte er liebenswürdig.
»Was?«
»Bist du zum ersten Mal im Pfuhl?« Natürlich war sie das. Sie wäre nicht so bestürzt, wenn sie schon einmal hier gewesen wäre. Dabei versuchten die Bauerntrottel doch so oft, so zu tun, als wären sie nicht so beschränkt, wie jeder es von ihnen erwartete. Dieser Versuch war einer der Gründe, dass einige von ihnen nicht lange genug überlebten, um wieder nach Hause zurückzukehren.
»Pfuhl?«
»Der Sündenpfuhl.« Sebastian ließ beim Lächeln seine Zähne aufblitzen. »Ist er nicht ganz das, was du erwartet hattest?«
Wenn sie vorher Angst gehabt hatte, geriet sie jetzt in Panik. »Ich gehöre nicht hierher. Ich
kann
nicht hierher gehören. Es ist ein Fehler.« Mit flehendem Blick sah sie ihn an. »Bitte. Es ist ein Fehler.«
Er schüttelte den Kopf. »Niemand kommt durch einen Fehler in den Pfuhl. Durch Zufall, sicher, aber nicht durch einen Fehler. Du bist hier gelandet, was bedeutet, dass etwas in dir die Resonanz dieses Ortes teilt.«
»Nein«, flüsterte sie. »Nein.«
Sie sah aus, als würde sie gleich zusammenbrechen. Wenn er es nicht schaffte, sie zu beruhigen, würde er an ihr überhaupt keine Freude mehr haben.
»Ich heiße Sebastian. Und du?«
»Lynnea.«
»Hübscher Name.« Und die Art, wie sie ihn aussprach - Lyn
NEA
-, verlieh ihm einen sanften, vollen Klang.
Selbst erschöpft und ungepflegt war sie auf eine natürliche Art und Weise hübsch, die ihn nervös machte. Er konnte sich vorstellen, sie für einen heißen Tanz unter der Bettdecke aufzuwärmen - und er konnte sich vorstellen, wie sie in seinen Armen lag, ihn küsste und sich an ihn schmiegte.
Das verunsicherte ihn. Sehr.
»Warum gehen wir nicht in Philos Restaurant?«, sagte Sebastian. »Es ist gleich hier die Straße hinunter. Du
siehst so aus, als könntest du etwas zu essen vertragen.«
»Oh.« In einer automatischen, femininen Geste hob sie die Hände und berührte ihr hellbraunes Haar. »Oh, ich kann nicht. Ich bin …« Sie betrachtete ihre dreckige Tunika mit den kurzen Ärmeln und den knöchellangen Rock und rümpfte die Nase.
»Der Innenhof ist offen. Es wird schon gehen.« Er streckte ihr eine Hand entgegen. Es machte ihn wütend, dass sie zurückschreckte, aber er behielt ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Bevor er mit ihr fertig war, würde sie ihn anflehen, seine Hände auf ihren Körper zu legen und sie zu nehmen, wie immer er es wollte.
Während er diesem Gedanken nachhing, schwand der kleine Teil seiner Seele, der gegen den Hass ankämpfte, dahin.
»Na komm«, sagte er. Er trat gerade so weit zur Seite, dass er noch jeden Versuch ihrerseits, wieder in die Gasse zurückzurennen, verhindern konnte. Da sie keine Wahl hatte, löste sie sich von der Wand und ging die Straße hinunter, während er sich einen halben Schritt hinter ihr hielt, um sie festhalten zu können, sollte sie versuchen, zu fliehen.
In dieser seltsamen Laune, die ihn ergriffen hatte, war er sich nicht sicher, was er ihr antun würde, wenn sie wirklich versuchen sollte, ihm zu entkommen.
Als er sie endlich zu Philos Restaurant getrieben hatte, war Teaser schon da und gab zusammen mit einem Sukkubus eine Vorstellung. Die paar Statuen, die verstreut zwischen den Tischen im Innenhof standen, stellten alle sexuell eindeutige Posen dar und waren mit so viel Liebe zum Detail bemalt, dass man sie genau betrachten musste, um sich sicher zu sein, dass sie
nicht
real waren. Es gab auch zwei kleine Podeste für die »lebende Kunst«.
Gerade waren Teaser und der Sukkubus in einer Stellung erstarrt. Sein Hemd war offen und über die Schulter
gezogen; seine Hände ruhten auf ihrer Taille. Sie hatte ein Bein um seine Hüfte geschlungen, den Oberkörper nach hinten geneigt und griff mit einer Hand nach dem Reißverschluss seiner Lederhose. In ein paar Sekunden würden sie die Bewegungen zu Ende führen und dann eine andere Pose einnehmen.
»Diese Statuen sehen so lebendig aus«, sagte Lynnea mit großen Augen. »Aber … was machen sie?«
Er kam zu dem Schluss, dass es besser war, sein kleines Häschen nicht zu sehr zu erschrecken, führte sie an den einzigen freien Tisch und zog einen Stuhl heran, auf dem sie mit dem Rücken zu Teasers Vorstellung sitzen würde.
Philo hatte als Zugeständnis an die warme Sommernacht die Ärmel seines weißen Hemds bis zu den Ellbogen hochgekrempelt und eilte geschäftig an ihren Tisch. Sein Begrüßungslächeln erlosch, als er Lynnea erblickte, und als er sich zu Sebastian umdrehte, war sein Blick genauso düster, wie der Teasers zuvor im Cottage.
Philo hatte Talent dafür, seine Kunden einzuschätzen und zu beurteilen, was ein Paar zueinander geführt hatte. Aus diesem Grund war er so bestürzt, ihn hier mit einer Frau zu sehen, die offensichtlich nichts anderes war als Beute. Eine der Frauen, die die Verführungsspielchen der Inkuben nicht ertrugen und sich am Ende aus Scham oder Verzweiflung in einen Fluss stürzten.
Es schmerzte Sebastian, dass Philo enttäuscht, sogar fast ein wenig ängstlich wirkte. Der Mann hatte kein Recht über ihn zu urteilen. Und es ging Philo verdammt noch mal nichts an, mit wem er die Nacht verbrachte.
Er starrte Philo an und hielt dessen Blick Kraft seines Willens so lange fest, bis der Wirt nervös die Augen abwandte.
Philo schenkte beiden ein schales Lächeln und fragte: »Hättet ihr gerne die Phal -«
»Deine Spezialität, das Brot und den warmen Käse«,
schnitt Sebastian ihm das Wort ab. Wenn sein kleines Häschen wusste, was »phallisch« bedeutete, würde sie wahrscheinlich schreiend auf die Straße rennen. Und das war nicht der Grund, aus dem er sie schreien hören wollte. »Und Wein.«
Philo eilte davon, ohne die Rufe von den anderen Tischen zu beachten.
»Wein?«, sagte Lynnea und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Nur … schlechte Frauen trinken Alkohol.«
Ach, war sie nicht das zimperliche Fräulein Tugend in Person? Das würde er ändern. Oh ja. Bevor er mit ihr fertig war, würde er eine ganze Menge ändern. »Wein ist kein Alkohol in dem Sinn; es ist Wein. Er gehört zu jeder zivilisierten Mahlzeit.«
Sie runzelte die Stirn, und als sie versuchte, diesen Gedanken nachzuvollziehen, bemerkte er, wie erschöpft sie war. Nicht nur schmutzig und verängstigt, sondern wirklich erschöpft. Wenn es so schwer gewesen war, den Pfuhl zu erreichen, warum hatte sie es dann überhaupt versucht?
Philo kehrte mit einem Tablett zurück. Er stellte vor jeden eine Schüssel mit einem kleinen feuchten Lappen, legte ein trockenes Handtuch daneben, stellte dann zwei Gläser Rotwein auf den Tisch und ging.
Sebastian fühlte, wie die Anspannung in ihm ein wenig nachließ. Wenn es darum ging, den Stolz einer Frau zu erkennen, konnte man sich auf Philo verlassen. Das kleine Häschen würde nicht mit schmutzigen Händen essen wollen, und indem er ihnen beiden Handtücher gebracht hatte, äußerte er sich nicht zu Lynneas Erscheinung.
Sebastian nahm sein Tuch aus der Schüssel und rieb sich damit die Hände. Der Lappen verströmte einen leichten Zitronenduft. Lynnea sah ihm einen Moment lang zu, dann tat sie es ihm gleich. Sie faltete das Tuch ordentlich zusammen, bevor sie es zurück in die Schüssel legte.
Sebastian faltete sein eigenes Handtuch zusammen, beugte sich zu ihr hinüber und sagte: »Du hast einen schwarzen Fleck auf der Wange.« In Wahrheit war ihr ganzes Gesicht schmutzig, aber er brauchte einen Grund, um sie zu berühren, der unschuldig genug war - oder ihr zumindest unschuldig erschien. Als er ihr mit dem Handtuch über die Wange strich, ließ ihn die Berührung an vieles denken. Nichts davon war unschuldig.
Mit ein wenig Überredung brachte er sie dazu, einen Schluck Wein zu probieren. Nach dem dritten Schluck brauchte sie keine Überredung mehr, und er verspürte Erleichterung, als Philo mit zwei kleinen Tellern, einem Korb mit geschnittenem Brot und der Schüssel mit geschmolzenem Käse zurückkehrte. Auf nüchternen Magen bedurfte es nicht viel Wein, um sein kleines Häschen betrunken zu machen, und er wollte, dass sie sich entspannte, nicht, dass sie das Bewusstsein verlor.
Sebastian erblickte den Korb und zuckte zusammen - eine vollkommen verständliche Reaktion darauf, etwas, das normalerweise die Form eines Penis hatte, in Stücke geschnitten zu sehen.
Da sie zögerte, nahm er ein Stück Brot, tauchte es in den Käse und bedeutete ihr dann, das Gleiche zu tun. »Vorsicht. Der Käse ist heiß.«
Sie nahm eine Penisspitze aus dem Korb. Oh, sie hatte keine Ahnung was es war, würde die Form sicher nicht mit einem männlichen Glied in Verbindung bringen, aber als er ihr dabei zusah, wie sie die Spitze in den Käse tauchte, hatte er plötzlich das Gefühl, seine Hose sei zu eng - und sein Herz klopfte heftig, als sie ihre Zunge hervorschnellen ließ, um den heruntertropfenden Käse aufzufangen. Und als sie auf die Spitze blies, um den Käse so abzukühlen, dass man ihn essen konnte, dachte er, seine Haut würde in Flammen stehen.
Sie hatte keine Ahnung, was sie da tat - und es brachte ihn um den Verstand.
»Das ist lecker«, sagte sie und nahm sich noch ein Stück.
Schnell steckte er sein eigenes Stück Brot mit Käse in den Mund, um zu verhindern, dass er etwas Erotisches, Suggestives, Anzügliches von sich gab. Etwas, aus dem seine Verzweiflung sprach.
Wie sollte er denken können, wenn sein Penis pulsierte und sein Gehirn nicht darüber hinwegkam, wie sich ihr Mund um das Stück Brot schloss, wie sich ihre Lippen um seinen -
Applaus von den anderen Tischen ließ sie beide aufschrecken. Lynnea wollte sich auf dem Stuhl herumdrehen, um zu sehen, weshalb die Leute klatschten, aber Philo war zurückgekommen und versperrte ihr die Sicht, als er einen Teller auf den Tisch stellte.
»Passend zur Spezialität des Hauses«, sagte Philo. »Titten Surprise.«
»Was?«
Lynnea hielt schützend die Hand vor die Brust, als sie auf den Teller starrte.
»Ähm … ja …« Philo warf Sebastian einen panischen Blick zu.
Lynnea runzelte die Stirn. »Sie sehen aus wie... Pilze.«
»Genau«, sagte Philo schnell. »Gefüllte Pilze. Harmlos.«
Sie betrachtete die Pilze genauer. »Sie sehen wirklich ein bisschen aus wie Titten, oder? Ziemlich rund, aber oben spitz.« Sie nahm einen Pilz und legte ihn auf ihren Teller. Dann griff sie nach einem Stück Brot. »Und wie nennt Ihr das Zeug?«
Auf Philos Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Äh … Phallische Köstlichkeiten.«
»Was bedeutet ›phallisch‹?«, fragte sie. Dann bekam sie Schluckauf.
Sebastian schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Sein kleines Häschen war von einem halben Glas Wein sturzbetrunken, und dabei zuzusehen, wie
ihre Hemmungen verschwanden, hinterließ ein sehr seltsames Gefühl in ihm. Er hätte sich darüber freuen sollen, wie einfach es gewesen war. Stattdessen wollte er sie von hier fortbringen, weg von allen schlechten Einflüssen. Was seltsam war, schließlich war er ein Inkubus, und dies war der Sündenpfuhl, und er hatte die Absicht, der schlechteste Einfluss zu sein, dem sie während ihres Aufenthaltes begegnete.
»Das ist ein Wort, das wohlerzogene Damen nicht kennen«, gab Philo zur Antwort.
»Oh.« Lynnea starrte das Brot an. »Aber ich bin ein schlechter Mensch, also kann ich das Wort auch sagen. Phalllllisch.«
Jemand an einem anderen Tisch rief etwas, und als Antwort ergriff Philo die Flucht.
Sebastian öffnete die Augen und sah Lynnea dabei zu, wie sie das Brot durch den Käse zog - und wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte.
»Iss deinen Pilz«, sagte er. Tageslicht! Jetzt klang er wie ein eingebildeter großer Bruder. Was war mit dem Verlangen zu jagen geschehen, zu verletzen, sie zu verführen?
»Titten Surprise«, wiederholte sie. Dann begann sie zu kichern.
Das Geräusch rief in ihm eine Wärme hervor, die ihn verwirrte. Es war, als stünde er plötzlich im Sonnenlicht - und dieser kleine Teil seiner Seele labte sich an ihrem Lachen.
Danach reizte ihn das Brot plötzlich nicht mehr, und so trank er nur seinen Wein, während er ihr beim Essen zusah.
Schließlich lehnte sie sich zurück, nahm einen Schluck Wein und sah sich um. »Das hier ist ein seltsamer Ort.«
Es ist der Sündenpfuhl.
»Warum bist du hier, Lynnea?«
»War nicht geplant. Ich sollte eigentlich zur Schule der
Landschafferinnen fahren, aber Ewan hat mich am Stra ßenrand zurückgelassen und...« Ihr schauderte. »Ich will nicht daran denken. Nicht jetzt

»In Ordnung«, sagte Sebastian beruhigend. »Wir werden nicht darüber sprechen.«
Noch nicht.
»Erzähl mir, wie du den Pfuhl gefunden hast.«

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