Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (39 page)

»Warum?«
»Vielleicht gibt es ihm einen Grund, verschiedene Gerichte zu verschiedenen Zeiten zu servieren. Nur zur Abwechslung. Nicht, dass es bei ihm viel Abwechslung gäbe, aber -«
»Möchtest du mir damit sagen, dass du Eier mit Speck willst?«
»Und süße Brötchen.« Nadia hatte keine gebacken, als Lynnea und er unerwartet aufgetaucht waren, aber er genoss diese Leckerei, wann immer Glorianna oder Lee ihm ein paar Brötchen ins Cottage brachten. Frisch, manchmal sogar noch warm, dick mit Butter oder Marmelade bestrichen...
»Warum leckst du dir die Lippen?«, fragte Lynnea.
»Was? Mache ich gar nicht.« Zumindest hoffte er, dass er das nicht getan hatte.
»Wenn du Eier mit Speck willst, mache ich dir welche. Wenn Philo Eier und Speck hat.«
Sebastian schnaubte. »Philo lässt niemanden in seine Küche.«
»Wollen wir wetten?«
In ihren Augen blitzte es auf, und ein selbstgefälliges und sehr weibliches Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Hast du Philo schon dazu überredet, dass du die Küche benutzen darfst?«
»Aber nein. Es wäre ja keine anständige Wette, wenn ich den Ausgang schon kennen würde.«
»Das nennt man normalerweise
noch ein Ass im Ärmel haben
«, murmelte er.
»Also wettest du nicht?«
»Nie im Leben.«
Sie schmollte ein wenig. »Spielst du nicht? Ich dachte, das ist eines der Dinge, die man im Pfuhl tun muss.«
»Ich habe genug Erfahrung, um zu wissen, wann ich passen muss. Und du, Freude meines Herzens, weißt bereits, dass du das Siegerblatt in der Hand hältst.«
Freude meines Herzens
. Er fühlte, wie die Überraschung sie ergriff, als sie sich der Worte bewusst wurde, fühlte, wie das gleiche Gefühl ihn durchströmte. Die Worte sagten zu viel, gaben zu viel preis. Sie gehörte nicht hierher. Auch wenn sie aus eigenem Willen in den Pfuhl zurückgekehrt war, gehörte sie nicht hierher. Wenn er nicht vorsichtig war, könnten seine Worte sie an diesem Ort festketten.
»Also«, sagte er im verzweifelten Versuch, die Stimmung wieder leicht und unbeschwert werden zu lassen, »was hättest du gesetzt?«
Sie schnaubte. »Da du die Wette nicht angenommen hast, weiß ich nicht, warum ich dir das verraten sollte.«
»Ah, Lynnea -«
Das ratternde Geräusch von Rädern, die sich ihnen näherten, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Leute kamen mit dem Pferd, dem Einspänner oder dem Fahrrad in den Pfuhl, aber die meisten ließen die Tiere und Transportmittel in einem der Mietställe am Rande des Pfuhls zurück, damit die Tiere keinen Mist auf den Straßen hinterließen. Ein großer Bauernwagen, der die Hauptstraße des Pfuhls hinaufratterte, war ein ungewöhnlicher Anblick - und alles Ungewöhnliche war verdächtig.
Offensichtlich war er nicht der Einzige, den das Gefährt misstrauisch machte. Als der Wagen neben Philos Restaurant anhielt, bildeten die Bewohner des Pfuhls einen Kreis um ihn - und keiner von ihnen sah so aus, als sei er geneigt, die Neuankömmlinge freundlich willkommen zu heißen.
Als er auf den Wagen zueilte, hörte er, wie der Fahrer mit lauter Stimme sagte: »Hooja! Sieht so aus, als wären wir falsch abgebogen, Jungs. Jawohl, sieht so aus, als ob ich mich verfahren hätte und falsch abgebogen bin.«
Tageslicht, dachte Sebastian, was macht der denn hier?
Teaser trat vor, sein selbstgefälliges Grinsen war fast schon bösartig. »Niemand kommt durch einen Fehler in den Pfuhl.«
»Der Pfuhl!« Der Mann zitterte. »Wächter und Wahrer!«
»Was ist in dem Wagen, Bauerntrottel?«, fragte Teaser.
»Sein Name ist William Farmer, und er ist kein Bauerntrottel«, sagte Sebastian und trat vor. »Es besteht kein Grund, hier etwas vorzutäuschen.«
William musterte ihn. »Ich kenne dich.«
Sebastian nickte. »Du hast mich in die Stadt der Zauberer mitgenommen.«
»Stimmt, ja. Stimmt. Wenn du diesen freundlichen Herren einfach erklären könntest, dass -«
»Wart ihr lange unterwegs?«
William zögerte, dann nickte er.
»Dann macht Pause und ruht euch ein wenig aus. Wir können den Pferden im Moment kein Futter anbieten, aber wir können einen Eimer Wasser holen.«
»Das wäre sehr freundlich.«
»Ihr Jungs steigt jetzt mal ab«, sagte Sebastian. Er erkannte den harten Ausdruck in ihren Augen, diese Mischung aus Arroganz und Angst. In ihrem Alter hatte er ihn oft genug im Spiegel gesehen.
Der Junge auf dem Fahrersitz öffnete den Mund, um etwas zu sagen, von dem Sebastian sicher war, dass es ihn in Schwierigkeiten bringen würde, aber William Farmer legte ihm eine Hand auf den Arm und sagte einfach: »Benimm dich.«
Der Bauer zog die Bremse an und kletterte vom Wagen. Nach einem Moment des Zögerns folgte der Junge ihm.
»Teaser«, sagte Sebastian, während er vorsichtig um die Pferde herumging, »leiste den Jungen Gesellschaft und sorge dafür, dass sie etwas zu essen bekommen.« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Bauern. »Du kommst mit mir.«
Als der Kreis sich teilte, um sie durchzulassen, fragte er: »Ist es dort, wo ihr herkommt, Morgen?«
»Schon nach Mittag«, antwortete William.
»Das Frühstück ist die erste Mahlzeit des Tages«, meinte Lynnea eifrig und schloss zu ihnen auf. »Also kannst du trotzdem Eier mit Speck essen. Wenn Philo die nötigen Zutaten hat.«
Philo erreichte den Tisch gleichzeitig mit ihnen - und gerade rechtzeitig, um diese Bemerkung zu hören. »Er will Eier mit Speck?«
»Will er«, sagte Lynnea.
Philo starrte Sebastian finster an.
»Warum helfe ich dir nicht einfach?«, sagte Lynnea mit einem strahlenden Lächeln.
Philo starrte Sebastian weiter an. »Wenn der Mann anfängt, wählerisch zu werden, wenn es darum geht, was man ihm vorsetzt, braucht er wohl seinen eigenen Koch.«
»Ich habe nicht gesagt …« Weil Lynnea und Philo bereits auf dem Weg in die Küche waren und er nur noch zu ihren Rücken sprach, drehte er sich zu William um. »Ich habe nicht gesagt, dass ich unbedingt Eier mit Speck möchte.«
William lächelte ihn mitfühlend an, aber in seinen Augen
blitzte es auf. »Alle guten Frauen sind ein bisschen aufsässig und dickköpfig.«
»Sind sie das?«, fragte Sebastian säuerlich.
»Sind sie. Das erzählt mir jedenfalls
meine
liebe Frau oft genug.«
Er lachte, weil die einzige Alternative darin bestand, seinen Kopf auf den Tisch zu schlagen. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich so hin, dass er ein Auge auf die Straße haben konnte. »Da wir das jetzt geklärt hätten, was führt dich hierher?«
William ließ seinen massigen Körper auf einen Stuhl an der anderen Seite des Tisches nieder. »Hatte nicht vor, hierher zu kommen. Ich wusste nicht, dass wir hier enden würden. Aber -« Er hielt inne, als Lynnea sich ihnen näherte und zwei Tassen Kaffee, Zucker und Sahne auf den Tisch stellte.
»Außer Kaffee gibt es hier nicht viel für Jungen in ihrem Alter«, sagte Lynnea und deutete auf die anderen Tassen auf ihrem Tablett. »Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
»Die trinken, was man ihnen hinstellt«, antwortete William.
»Aber sie sind zu jung um Whisky oder Bier zu bekommen«, erwiderte Lynnea streng.
Sebastian strich mit dem Finger über ihr Handgelenk. »Sag einem Jungen nie, er sei zu jung für Whisky oder Bier. Er wird dir beweisen wollen, dass du Unrecht hast und trinken, bis ihm schlecht wird.«
»Ich habe nicht vor, ihnen etwas Derartiges zu sagen. Sie bekommen einfach nichts.« Sie ging hinüber zum anderen Tisch, an dem Teaser ein Auge auf die Jungen hatte.
»Sie war mal ein kleines Häschen«, murmelte Sebastian. »Ich mochte das kleine Häschen.«
»Ich denke, du magst ihre andere Seite, die gar kein ängstliches kleines Häschen ist, noch mehr.«
Die Wahrheit dieser Worte schmerzte ein wenig, also
trank Sebastian einfach nur seinen Kaffee ohne etwas zu erwidern
»Es ist so«, sagte William. »Ich war auf dem Weg in die Stadt der Zauberer, wie gewöhnlich, aber …« Er hob die Tasse und stellte sie dann wieder ab, ohne zu trinken. »Ich kam nicht hin. Ich habe dieselbe Straße genommen, bin über dieselbe Brücke gefahren, aber sobald ich die Brücke überquert hatte, wurde der Tag zur Nacht und … ich bin hier gelandet.«
Lees Werk, dachte Sebastian. Es musste so sein. »Wenn du es geschafft hast, den Pfuhl zu erreichen, glaube ich nicht, dass du in der Lage sein wirst, in die Stadt der Zauberer zu fahren. Die Landschaften sind verändert worden.«
William erblasste. »Verändert?«
»Orte, zu denen man vorher Zugang hatte, sind jetzt vielleicht unerreichbar.«
»Meine Heimat«, flüsterte William. »Meine Frau, meine Kinder.« Er griff nach Sebastians Hand. »Kann ich nach Hause?«
»Ich denke schon.« Er hoffte es. Er wusste nicht, wie lange Lee dazu brauchen würde, die Brücken abzurei ßen, die Gloriannas Landschaften mit all denen verbanden, die sich nicht in ihrer oder Nadias Obhut befanden, aber weil der Bauer in der Lage gewesen war, den Pfuhl zu erreichen, standen die Chancen gut, dass er aus einer Landschaft kam, die einer von beiden unterstand.
Lynnea kehrte zurück und brachte zwei Teller mit Eiern, Speck und Bratkartoffeln mit. Sie schenkte ihm ein ›Ich-hab’s-doch-gesagt‹-Lächeln und verschwand sofort wieder.
»Was ist mit den Jungen?«, fragte Sebastian als er sich über seine Mahlzeit hermachte.
»Das ist auch so eine Sache.« William probierte die Eier, gab ein Geräusch der Zustimmung von sich und verbrachte die nächsten Minuten damit, sich auf seine
Mahlzeit zu konzentrieren. »Hab sie an der Straße gefunden, kurz bevor ich die Brücke erreicht hatte. Da war eine ganze Meute von ihnen. Die meisten kannte ich vom Sehen, manche sogar mit Namen. Etwas geschieht in der Stadt der Zauberer, das die Leute nervös macht. Erinnerst du dich daran, dass ich von dem Teil der Stadt erzählt habe, der anders war?«
»Ich erinnere mich.«
William deutete mit einem Kopfnicken auf den Tisch, an dem die Jungen saßen. »Sie sagten, die gute Stimmung verschwände, als bliese jemand die Kerzen eine nach der anderen aus, und bald würde es nur noch Dunkelheit geben. Einige Leute haben den Kindern ein paar Münzen und Lebensmittel gegeben, auf die sie verzichten konnten und ihnen geraten, die Stadt zu verlassen. Also sind sie gegangen, weil sie sich vor dem Bleiben mehr fürchteten als vor dem Gehen. Sind zwischen den anderen Reisenden hinausgeschlüpft und haben sich ein Stück die Straße hinunter wieder getroffen. Als sich unsere Wege kreuzten, waren sie schon seit ein paar Tagen auf der Reise. Es hat sie zu Tode geängstigt, draußen zu schlafen, aber es führte kein Weg zurück.«
William schob ein Stück Kartoffel auf seinem Teller hin und her. »Ich wusste nicht, dass die Landschaften sich verändert haben. Ich habe nicht erkannt, dass die Dinge jetzt anders lagen, und so habe ich ihnen die Stra ße gezeigt, die nach Kennett, in mein Heimatdorf, führt. Dann habe ich ihnen gesagt, sie sollen der Straße folgen. Mögen die Wahrer des Lichts über sie wachen und sie sicher ins Dorf bringen.«
»Und diese drei?«, fragte Sebastian.
William seufzte. »Kennett ist ein kleines Dorf. Ich glaube, die anderen Kinder werden es schaffen, dort einen Platz für sich zu finden und sich einzuleben, aber diese drei haben ein wenig zu viel … Schneid …, wenn du verstehst, was ich meine. Sie mussten schnell erwachsen
werden, um überleben zu können. Das hat sie hart gemacht. An einem Ort wie Kennett würden sie nur Unruhe stiften, und das könnte den Leuten die anderen Kinder verleiden. Ich glaube, sie wussten das. Deshalb haben sie wohl angeboten, mich zu begleiten, obwohl sie dachten, ich würde sie zurück in die Stadt der Zauberer bringen. Nicht, dass sie es so ausgedrückt hätten.«
Nein, so würden sie es nicht ausdrücken, dachte Sebastian. Aber sie würden wissen, dass sie etwas in sich trugen, das es ihnen unmöglich machen würde, sich in das Landleben auf dem Dorf einzufügen.
Gelegenheit und Entscheidung.
»Sie passen hierher«, sagte Sebastian. »Der Pfuhl wurde für harte Kerle geschaffen.«
»Jetzt aber«, polterte William. »Ich weiß ja nicht.« Dann sah er Sebastian in die Augen. »Du bist wohl selbst so ein Junge gewesen?«
»Man könnte sagen, ich war der erste.«
William schürzte die Lippen. »Wohltätigkeit werden sie nur schwer hinunterkriegen.«
»Das ist gut, denn sie werden hier keine finden. Wenn sie hier wohnen, werden sie arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.«
William nickte. »Ich kenne deinen Namen nicht.«
»Sebastian.«
William streckte die Hand aus.
Er nahm die Hand, ließ sie dann wieder los und wunderte sich, wie ein einfacher Händedruck manchmal eine Brücke zwischen zwei so verschiedenen Leben schlagen konnte.
Gelegenheit und Entscheidung.
Sebastian schob seinen Teller zur Seite, verschränkte die Arme und stützte sich auf den Tisch. »Also, William Farmer, wenn du nicht in die Stadt der Zauberer gelangen kannst, was machst du dann mit all den Lebensmitteln in deinem Wagen?«
William musterte ihn einen Moment lang und lächelte dann. »Ich nehme an, du hast eine paar Ideen, was ich damit anstellen könnte?«
»Die habe ich«, antwortete der Inkubus und erwiderte das Lächeln. »Die habe ich ganz bestimmt.«
 
Koltak knirschte verbittert mit den Zähnen. Er war das Reiten nicht gewohnt, und der Tag entwickelte sich langsam zu einer Katastrophe. Schlimmer noch als der körperliche Schmerz allerdings war das wachsende Unbehagen.
Der Weg war zu lang, zu weit. Er war erst einmal dort gewesen, aber er kannte den Weg in die widerwärtige Landschaft, die Sebastian sein Zuhause nannte. Die Hauptstraße machte eine Kurve und führte zu einer Brücke, die zu einer anderen Landschaft und einer anderen Brücke führte, die in der Nähe von Nadias Heimatdorf endete. Er war oft genug auf diesem Weg gereist, wenn er aufgebrochen war, um Sebastian zu holen und den Welpen zurück in die Stadt der Zauberer zu bringen. Der ausgefahrene Pfad, der von der Hauptstraße abzweigte, führte zu einer weiteren Brücke - und in den Sündenpfuhl.

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